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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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etwas Unbekanntes, nach dem ich nicht zu fragen wagte.
    »Ich muss los und deiner Mum helfen. Ich weiß, Jess, das ist auch für dich ein schwerer Schlag, aber es hilft weder Mandy noch Cath, wenn du mitkommst. Du solltest Mandy so in Erinnerung behalten, wie sie war.«
    »Warum? Was ist passiert? Ist schon etwas passiert?« Schon bei der Frage brach mir der Schweiß aus.
    »Sie dachte, man würde sie das Kind bekommen lassen. Das hat sie geglaubt – dass wir sie in die Klinik bringen und eine Schlafende Schöne aus ihr machen würden.«
    »Könnt ihr nicht so tun als ob?«
    Er lachte freudlos. »Das hat Cath auch vorgeschlagen. Nein, das geht nicht. Die Klinik muss sich um wichtigere Dinge kümmern – man kann nicht einfach jemanden hinbringen und ihn über die Behandlung täuschen. Das ist kein Spiel.«
    »Wie geht es jetzt weiter?«
    »Sie wird erkranken … und dann … der Arzt wird sie sedieren … und dann wird sie sterben.«
    »Aber im Moment, was passiert jetzt …«
    »Schatz, Mandy hat es nicht begriffen. Sie hat nicht begriffen, weshalb wir sie nicht in die Klinik bringen. Als es ihr dann doch irgendwann dämmerte, hat es ihr das Herz gebrochen. Sie möchte, dass wir das Kind retten. Sie glaubt, alle hätten sie verraten. Es ist nicht … es ist einfach nur traurig. Es bringt nichts, wenn du sie so siehst, du würdest es deiner Mutter nur schwerer machen. Verstehst du das?« Er umarmte mich, und ich brach in Tränen aus, und er weinte auch. Ich sagte ihm, ich wolle nirgendwohin und käme schon allein zurecht. Ich begleitete ihn nach draußen zum Wagen und schaute ihm nach, bis die Rücklichter nicht mehr zu sehen waren. Ich wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
    Eine Weile saß ich im Dunkeln und versuchte, an Mandy zu denken – telepathisch Kontakt aufzunehmen, ihr eine Art Seelenfrieden aufzuzwingen, damit sie und Mum sich einen Kuss gäben und versöhnten, bevor sie starb. Es klappte nicht, ich konnte mich nicht konzentrieren. Meine Gedanken kamen nicht zur Ruhe. Ich ging in die Küche und begann aufzuräumen. Ich sortierte den Abfall zum Recyceln aus, räumte die Spülmaschine leer und schrubbte die Spüle und den Herd, dann räumte ich den Kühlschrank aus. Anscheinend hatte seit Tagen niemand mehr richtig gegessen, denn viele Sachen hatten das Verfallsdatum überschritten. Zuletzt wischte ich den Küchenboden. Wenn sie nach Hause kämen, wäre es wenigstens ordentlich. Auch wenn das rein gar nichts bedeutete.
    Im Gegensatz zu dem, was ich vorhatte.
    Ich ging nach oben und setzte mich auf mein Bett. In meinem Kopf ordnete sich etwas, wie ein verheddertes Knäuel, das sich plötzlich entwirrt, wenn man an der Schnur zieht. Ich war Mandys Spiegelbild. Ihr Gegenstück. Weil es bei ihr nicht klappte, würde es bei mir klappen. Sie war das Minus, und ich war das Plus. Mein Vorhaben würde ihren Misserfolg auslöschen. Nicht sie , sondern das Schlechte, die Traurigkeit, die Hoffnungslosigkeit. Ich konnte alles ausgleichen. Kein Kind für sie = ein Kind für mich. Negativ/positiv.
    Und ich würde mir keine Angst einjagen lassen. Denn ich hatte mir bereits um sie Angst gemacht. Mr. Golding würde nicht zulassen, dass mir etwas Schlimmes passierte. Es wäre genau das Gleiche, als wenn ich einschlafen würde.
    Als ich wieder nach unten ging und mir Toast mit pochiertem Ei machte, hatte sich alles wieder verheddert. Das Grauen, das Mum und Dad erlebten – vor allem Mum. Das Grauen, das über Mandy hereinbrach – wie hatte das geschehen können? Meine Schuld. Wäre ich bei meinem letzten Besuch, als sie Paul erwartete, ein bisschen aufmerksamer oder umsichtiger gewesen, hätte ich sie gefragt, was los sei. Anstatt mich ausschließlich mit Mum und Dad zu beschäftigen und zu glauben, alles drehe sich um meine eigenen Probleme. Warum hatte ich sie nicht gefragt? Warum hatte ich nicht nachgedach t ? Vielleicht ging das ja jeden Tag so – vielleicht war das der Tag gewesen, an dem Paul sie geschwängert hatte, nachdem er mir auf der Straße begegnet war, geschniegelt und gut gelaunt.
    Ich wollte weinen, doch ich konnte es nicht. Erneut ging ich nach oben und betrachtete meine Habseligkeiten, die Klamotten, Schuhe und Bücher, die Schminkutensilien und Ohrringe und Plüschtiere, das handbestickte Schultertuch und die indischen Paillettenkissen, die Perlenkette, die Oma Bessie mir geschenkt hat. Meine CD s, meine DVD s, meinen iPod. Ich holte einen Karton aus der

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