Das Testament der Jessie Lamb: Roman
ein Ungeheuer. Mum wiederholte in einem fort: »Das kannst du nicht machen, Jess.« Dad glaubte mir nicht; und nachdem er sich das Prozedere hatte schildern lassen, wurde er wütend auf die Klinik, nahm das Telefon mit ins Gästezimmer und rief Mr. Golding an. Wir hörten seine erhobene Stimme durch zwei geschlossene Türen hindurch. Mum bombardierte mich mit Fragen. Ob Mandy der Grund sei? Oder der Überfall der Jungs? Liege es an ihrem Streit mit Dad? Oder an YOFI ? Oder daran, dass ich in letzter Zeit so oft allein gewesen sei? Hatten sie mich unter Druck gesetzt oder mich auf die Idee gebracht …?
»Ich bin nicht eure Marionette, Mum. Ich bin selbst auf die Idee gekommen. Niemand hat mich drauf gebracht.«
Sie meinte, ich sei durcheinander. Mandys Schicksal hätte jeden aus der Bahn werfen können. Ich sei deprimiert, es habe zu viele schlechte Neuigkeiten gegeben. Ich müsse einen Therapeuten aufsuchen, mich wegen Depression behandeln lassen, mir helfen, mich umsorgen und beschützen lassen, bis ich wieder in der Lage sei, mein Leben fortzuführen.
»Ich fühle mich gut. Ich bin glücklich. Ich weiß, was ich tue.«
Sinnloses Gerede, sie sah nur das, was sie sehen wollte. Dad kam kreidebleich und wütend zurück und sagte Mum, er wolle gleich am nächsten Morgen mit Golding sprechen. »Wir stoppen die Sache.«
Ich sagte, es täte mir leid, aufrichtig leid, aber es sei meine Entscheidung. Als die Fragen und Einwände in die dritte Runde gingen, sagte ich, ich wolle jetzt schlafen. Ich wusch mir das Gesicht und putzte mir die Zähne, dann legte ich mich auf den Boden und lauschte auf das Hin und Her der Stimmen im Erdgeschoss. Ich wusste, dass sie einander sagten, das könne nicht sein. Dass sie einen Weg finden würden, mich zur Vernunft zu bringen. Durch den aufgezogenen Vorhang schaute ich zur Buche hinaus; die Straßenbeleuchtung verlieh den Ästen eine stumpfe, schwärzlich orange Farbe. Ich wollte, dass es vorbeiging, denn das brachte alles nichts mehr. Nichts als Tränen und Wut. Zehn Tage waren eigentlich eine kurze Zeit, doch jetzt kamen sie mir lang vor.
Nach einer Weile kam Dad hoch und klopfte. Er entschuldigte sich dafür, dass er zornig geworden sei, und sagte, wir müssten uns unterhalten.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Dad. Ich kann es nicht besser machen, als es ist.«
»Komm morgen mit mir in die Klinik. Ich möchte dir etwas zeigen.«
»Versprichst du mir, dich nicht mit Mr. Golding zu streiten?«
»Ich versprech’s, wenn du mitkommst.«
»Okay.«
Er ging wieder nach unten, und das Gerede ging weiter, bis Mum in Tränen ausbrach. Ich rappelte mich vom Boden auf, zog mich aus und legte mich ins Bett. Ich fühlte mich so platt und schwer, als läge ich unter einer Dampfwalze. Ich wollte nichts weiter, als dass es aufhörte.
26
Beim Aufwachen war ich glücklich; für mich war alles klar. Dann fielen mir Mum und Dad ein. Es tat mir weh, mit anzusehen, wie sie im Haus herumtrampelten, hässlich und unbeholfen, ganz steif vor Unglück. Ich versuchte, sie mit einer Geschichte mit dem Titel »Affen theater« aus der Sonntagszeitung aufzumuntern. Ein Tierrechtler war zusammen mit seinem Freund und dessen zahmem Affen mit dem Wagen von Chester zum Forschungslabor gefahren. Den Affen nahmen sie mit, um ihre Solidarität mit den im Labor eingesperrten Versuchstieren zu bekunden. Sie gerieten in einen Stau, und dann wurde ihr Wagen von einer Bande herausgegriffen, die über eine Überführung auf die Schnellstraße gelangt war. Die Mitglieder der Bande zerrten die beiden Freunde aus ihrem Wagen, nahmen ihnen iPods, Handys und den Affen ab, knoteten ein Halstuch an dessen Kragen und führten ihn weg. Ein Wagen mit FLAME -Frauen bemerkte, dass sie den Affen über die Leitplanke ziehen wollten. Die Frauen stürzten hinzu und griffen sie an. Sie retteten den Affen, von dem sie annahmen, er sei aus dem Labor gestohlen worden. Sie hielten einen vorbeikommenden Polizeiwagen an und übergaben den Beamten den Affen. Der Polizeiwagen kam ein paar Meilen weit, dann musste er an einer Straßensperre aus brennenden Autos halten, und während die Polizisten damit beschäftigt waren, wurde der Affe von Noahs befreit, die ihn als Beweis für die teuflische Forschung, die im Labor stattfinde, zu ihren Leuten brachten. Der Besitzer des Affen marschierte zehn Meilen weit an der Straße entlang und suchte nach dem Affen. Die Noahs gaben ihm den Affen zurück, weil der vor Freude in ihrem Van herumsprang,
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