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Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Das Testament der Jessie Lamb: Roman

Titel: Das Testament der Jessie Lamb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Rogers , Norbert Stöbe
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dass du mich auf die Station begleitest.«
    Auf einmal wurde mir klar, dass man mir einen der Embryos in den Tiefkühltruhen einpflanzen würde. Er glich den Menschen in den Raumschiffen, die eingefroren werden, damit sie während der Lichtjahre weiten Reise nicht altern. Man hatte den Embryo eingefroren, kaum dass er den ersten Lebensfunken zeigte, und nun wartete er im Verborgenen in aller Unschuld auf den Moment, da man ihn hervorholen, behutsam erwärmen und mir einpflanzen würde.
    Mein Dad wandte sich um und rückte mir die Gesichtsmaske zurecht, dann eilte er den Flur entlang, drückte mit dem Ellbogen die Schwingtüren auf, wandte sich nach rechts und stieg die Treppe hoch, hielt an und warf einen Blick durchs Türfenster, dann stieß er die Tür auf und geleitete mich in die Station. Wir befanden uns in einem lang gestreckten, dunklen, halb leeren Raum. Ein rhythmisches Zischen war zu hören, das ein wenig an die Brandung am Strand erinnerte. Ich dachte an den ALF -Film über die Affen und Schafe im Forschungslabor. Was wäre, wenn ich auch hier etwas Schreckliches zu sehen bekäme?
    Deshalb hatte er mich hergebracht. Er wollte mir Angst machen. Ich hatte das Gefühl, etwas Kaltes, Scharfes stecke in meinem Hals fest. Dad ging zwischen den leeren Betten hindurch zum ersten, das mit Geräten umstellt war. Im geisterhaften Licht der Monitore sah ich eine still daliegende Gestalt. Dad war ein Stück vor dem Bett stehen geblieben und bedeutete mir vorzutreten. Seine Augen über der Maske glitzerten.
    Ich trat näher ans Bett. Daneben stand ein Besucherstuhl. Ich zwang mich zum Hinsehen. Sie lag ganz ordentlich da, die Arme neben der Decke, ein Schlauch verschwand in ihrem weißen Halsverband. Ein weiterer Schlauch schlängelte sich unter der Decke in ihre Brust. An einem dünnen Finger war ein Sensor befestigt, von dem ein Kabel zu einem Überwachungsgerät führte. Sie sah aus, als ob sie schliefe. Ich hatte keine Ahnung, was Dad von mir erwartete, doch er stand einfach nur da und starrte auf den Monitor. Da setzte ich mich auf den Besucherstuhl. Vom lauten Zischen bekam ich Herzklopfen. Nach einer Weile merkte ich, dass es die Beatmungsmaschine war, die ihr Luft in die Lunge pumpte. Ich verlangsamte meinen Atem, bis er sich dem Maschinenrhythmus angepasst hatte. Ein, aus, ein, aus, so atmen wir. Ganz ruhig. Im Halbdunkel wirkte ihr Gesicht reizend. Ihre Nasenspitze wies leicht nach oben, und ihr blondes Haar war auf dem Kissen ausgebreitet. Sie sah aus wie siebzehn. Ich beobachtete die blinkenden grünen Lämpchen an den Überwachungsgeräten und die Flüssigkeit, die durch einen durchsichtigen Schlauch rann. Das war in Ordnung. Jetzt verstand ich, weshalb man sie Schlafende Schöne nannte. Sie trug einen breiten Hochzeitsring und kleine goldene Ohrringe mit einem blauen Edelstein in der Mitte. Ich stellte mir vor, wie sie die Ohrringe ausgesucht hatte – vielleicht waren sie aber auch ein Geschenk ihres Mannes. Ich stellte mir vor, wie sie das Etui ausgepackt und lächelnd gesagt hatte: »Die werden mir Glück bringen.«
    Dad winkte mich zum nächsten Bett weiter. Dieses Mädchen war eine Asiatin, und sie wirkte noch jünger. Sie hatte einen skeptischen Gesichtsausdruck, eine kleine Falte zwischen den Augen, als müsste sie sich im Traum konzentrieren. Ich hätte sie gern geküsst und die Falte geglättet. Mein Dad betätigte ein paar Schalter, auf dem Monitor wurde ein grünliches Bild angezeigt. »Das ist ihr Kind«, sagte er. »Da ist der Kopf, siehst du?« Das Kind war schwer zu erkennen, denn das Bild bewegte sich und flackerte ein wenig, wie bei einer schlechten Zeitlupe. Ich konnte mir gut vorstellen, dass es tief in ihr verborgen war und sich vielleicht schämte, weil es beobachtet wurde. Ich nickte Dad zu, und er schaltete das Bild ab. Ich wusste nicht, ob das gestattet war, doch ich wollte das Mädchen unbedingt berühren. Ich streichelte ihren Arm. Ihre Haut fühlte sich warm und weich an, kein bisschen unangenehm – sie lebte. Ich dachte, sie hat sich ganz nach innen gekehrt. Dem zerbrechlichen Wesen zugewandt, das eben auf dem Monitor herumgegeistert ist. Hat sich in ihrer Reglosigkeit ganz darauf konzentriert. Sie widmet sich voll und ganz ihrem Kind.
    Dad war wieder zur Tür gegangen. Als wir in sein Labor kamen, riss er sich die Gesichtsmaske ab und fragte mich, was ich von den Schlafenden Schönen halte.
    »Sie wirken friedlich.«
    Er starrte mich entgeistert an. »Friedlich? Sie befinden

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