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Das Testament des Satans

Das Testament des Satans

Titel: Das Testament des Satans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Beichtvater Rechenschaft ablegen. Diesen Gehorsam habe ich bei meiner Priesterweihe feierlich gelobt.
    »Padric, die Flut steigt. Alessandra wird ster …«
    »Yvain will, dass du an seiner Stelle die Vigil hältst.«
    Ich taumele gegen ihn und lege meine Stirn an seine Schulter.
    »Yann … Yann, um Gottes willen! Sei vernünftig! Du kannst sie nicht retten!«
    Mit dem Ärmel wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht.
    Padric lässt mich nicht aus den Augen. »Geht’s?«
    »Nein.«
    »Komm schon.« Er legt sich meinen Arm um die Schulter und zerrt mich die Stufen hinauf ins Promenoir.
    Im Cachot du Diable, dem Vorraum zur Krypta Notre-Dame-des-Trente-Cierges, haben sich unsere Konfratres bereits zu einem besinnlichen Augenblick reglosen Wartens im dunklen Raum vor der Kapelle formiert. Dreiundzwanzig gestaltlose Schemen, jeder an seinem Platz in der Zweierreihe längs der Wand, dem Licht zugewandt. Das Licht der dreißig Kerzen, das durch die offene Tür fällt, taucht ihre gesenkten Gesichter unter den Kapuzen in ein düsteres Licht.
    Ich will zu meinem zugewiesenen Platz in der Ordnung unseres Klostereintritts neben Robin, Padric und Jourdain gehen, als sich Corentin, der ganz vorn hinter dem Prior steht, sich zu mir umwendet. »Père Yann?« Er macht eine einladende Geste in Richtung der Tür. »Führe uns zur Vigil in die Kapelle!«
    Ich zögere. »Das ist die Aufgabe des Priors.«
    »Oder des Subpriors. Seit dem Tod von Frère Geoffrey hat Père Yvain keinen Stellvertreter. Wir haben abgestimmt, Yann. Deine Buße und deine Trauer um Rozenn sind ab sofort beendet. Wir alle sind der Meinung, dass du dem Erzengel lange genug als einfacher Mönch in tiefer Demut und selbstauferlegter Erniedrigung gedient hast. Und dass du dem Konvent auf dem Saint Michael’s Mount ein ausgezeichneter Prior warst. Du bist jetzt unser Subprior.«
    »Mylord, wenn ich bitten darf!« Robin versetzt mir einen Stoß, der mich taumeln lässt.
    Padric packt mich bei den Schultern und schiebt mich unerbittlich vor sich her zu Corentin, der mich mit Yvain und Abelard erwartet.
    Die Glocke ruft zum Gebet.
    Corentin nickt mir zu.
    »Benedicite!«, murmele ich.
    »Dominus!«, antworten mir meine Konfratres.
    Zögernd gehe ich an Corentin vorbei und betrete die hell erleuchtete Krypta. Weihwasserbecken. Kapuze und Bonnet abstreifen. Bekreuzigen. Eine Wendung, ein Kniefall. Dann stehe ich vor dem Altar und beobachte die anderen, die sich in absoluter Lautlosigkeit in zwei Reihen vor der halbrunden Altarnische aufstellen.
    Es ist wie in einem Traum. Einem Horrortraum.
    Noch nie war ich Gott ferner.
    Mein Brevier liegt zerfetzt auf den Stufen von Notre-Dame-sous-Terre. Ich muss die gesamte Liturgie der Vigil auswendig hersagen. Ich weiß, wie ich meine Hände halten soll, wie ich mich verneigen muss, wie ich die Psalmen zu singen habe, wie ich den Friedenskuss gebe …
    Ohne nachzudenken, spule ich meinen Text ab.
    »Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde …«
    Das Invitatorium.
    Ein Psalm.
    »Venite exultemus. Kommt, lasst uns jubeln vor dem Herrn und jauchzen vor dem Fels unseres Heils …«
    Die Antiphon, der liturgische Wechselgang zur Psalmodie.
    »Venite adoremus. Kommt, lasst uns ihn anbeten …«
    Ein Hymnus.
    Welcher?
    Heute ist das Fest von Saint-Michel. Also die lange Liturgie.
    Die Form der Stundengebete soll ein kollektives Bewusstsein schaffen. Ein Gefühl der Einheit. Eine Gewissheit, dass das Ganze größer ist als die Summe seiner Teile.
    Noch nie war ich dem Ganzen ferner.
    Subprior? Nein, ich gehöre nicht mehr dazu, ich bin keiner mehr von ihnen.
    Ich bin verloren, denke ich verzweifelt. Gott ist nicht da. Ich bin allein in der Finsternis. Gefangen im Sog des Untergangs.
    Noch nie war ich mir selbst ferner.
    Die dreißig Kerzen hinter mir auf dem Altar flackern im Luftzug, als einer der Schatten mit gesenktem Kopf die Krypta verlässt. Es ist Raymond. Weint er?
    Der Gesang meiner Mitbrüder klingt schwerelos, wie in engelsgleicher Harmonie.
    Aber ich spüre kein mystisches Glücksgefühl. Die Macht des Wortes und die Erhabenheit der gregorianischen Gesänge berühren mich nicht mehr.
    Die Nokturnen.
    Auswendig sage ich meinen Text auf.
    Yvain beobachtet mich. Es passt ihm nicht, dass ich seinen Platz einnehme. Warum hat er sich Corentin gefügt?
    Die Cantica.
    Lob und Dank, Vertrauen und Bitte, Trauer und Freude, Buße und Glaubenszuversicht.
    In mir ist keine Glut der frommen Andacht. Kein

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