Das Testament des Satans
mich zur verschollenen Bundeslade geführt. Dieses jüdische Amulett, das ich seit Jerusalem trage und das mir in Granada während des Attentats auf Yared das Leben gerettet hat, ist ein machtvoller Schutz gegen die Inkarnation des Bösen.
Abgesehen vom Sturm, der um die Mauern der Merveille tost, ist alles still.
Mein Blick huscht zwischen den Schreibpulten hindurch zur Tür des geheimen Archivs auf der anderen Seite des Scriptoriums. Eine der Schreibfedern auf meinem Pult bewegt sich im Luftzug und kippt aus dem Tintenfass. Die Tür des Archivs bewegt sich knarrend. Irgendwo hinter mir raschelt Pergament. Wie unheimlich!
Da! Gelbe Augen mit schmaler Iris scheinen in der Dunkelheit auf!
Unwillkürlich muss ich an scharfe Krallen denken.
Mit angehaltenem Atem beobachte ich die leuchtenden Augen, während sie, ohne zu blinzeln, zurückstarren. Als wollten sie mich willenlos machen. Ich bin so überreizt, dass ich die verkrampften Schultern hochziehe und den Griff meines Dolches umklammere.
Was lauert dort in der Finsternis?
Der Hüter des Erzengels
Intermezzo 1
An der Tür des Scriptoriums
Kurz nach halb ein Uhr nachts
Der Auserwählte tastet in der Dunkelheit die letzte Stufe hinab, huscht einen Schritt vorwärts, lehnt sich mit der Schulter gegen den Pfeiler und lugt um die Ecke in den Saal. Seine verkrümmte Klaue umklammert den Griff seines Dolches so fest, dass die Knöchel im matten Kerzenschein weiß hervortreten.
Da ist sie.
Sie sitzt mit dem Rücken zu ihm an einem Lesepult, hält das Siegel Gottes vor sich und starrt wie gebannt in die Schatten neben den Kaminen.
Was sieht sie dort?
Der Hüter der Lade wagt sich eine Handbreit vor und stellt sich neben dem Bücherregal auf die Zehenspitzen, kann hinter den Schreibpulten jedoch nichts erkennen.
Beschwört sie einen Dämon?
Arc’hael Mikael, steh mir bei!
Mit angespannten Schultern weicht er zurück in die Schatten und beobachtet sie.
Auf dem Lesepult liegt der Codex purpureus, den sie im aufgebrochenen Archiv gefunden hat, daneben ihr Notizbuch. Ihrem Ruf wird sie gerecht, denkt der Auserwählte bestürzt. Diese Satansbrut fürchtet weder Tod noch Teufel. Die Seite mit dem Fluch ist aufgeschlagen.
Seine Hand krampft sich um den Griff des Dolches.
Während der Hüter sie nicht aus den Augen lässt, überkommt ihn ein tiefes, überwältigend schmerzhaftes Gefühl. Sie wird die Wahrheit erkennen. Aber das bestgehütete Geheimnis der Welt muss bewahrt werden.
Sie muss sterben.
Aber sie ist eine Auserwählte, wie er selbst ein Begnadeter des Erzengels ist, der ihn vor dem Tod bewahrt, der ihn mit Blut getauft und zum Hüter der Lade berufen hat, zum Wächter über die Mächte des Bösen. Das Sigillum Dei, mit dem verborgenen Namen Gottes beschriftet, verleiht ihr die Macht über alle Menschen, Engel und Dämonen, nur nicht über die Erzengel. Und der Satanspakt, für den sie in Rom zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde, macht sie zu einer tödlichen Gegnerin, einer gefährlichen Verbündeten des Satans. Während der Satansmesse, die sie in San Giovanni in Laterano, der allerheiligsten Kirche der Christenheit, gefeiert hat, hat sie ein Priestergewand getragen, die weiße Albe eines Papstes. Ein Sakrileg!
Liliths Tochter, diese Dämonin in der Larve einer jungen Frau, schlank, hochgewachsen, geschmeidig und kräftig wie la Pucelle, schreckt offenbar vor nichts zurück! Sie trägt Hemd und Hosen, wie damals Jeanne! Ma Doue!
Lilith, die mit Gott selbst stritt, war eine gelehrte, starke und mutige Frau, die sich jedem Versuch, sie zu unterdrücken, resolut widersetzte. Die leidenschaftliche, sinnliche und stolze Lilith war Adams erste Gefährtin, bevor sie ihn nach einem heftigen Wortgefecht mit Gott verließ und Adam sich die bescheidene und gehorsame Eva zur Gefährtin nahm. Aber was hat es am Ende gebracht? Es war Eva, und nicht Lilith, die die Frucht vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen gekostet hat. Lilith aber blieb unsterblich, weil sie selbstbeherrscht und willensstark war und der Versuchung widerstand. Nein, stattdessen hat sie Gott dazu gebracht, ihr seinen heiligen Namen zu verraten, der ihr unbegrenzte Macht verlieh – eben jenen Namen, der auf dem Sigillum Dei eingraviert steht.
Liliths Tochter dort drüben, die die römischen Inquisitoren schon mit drei Jahren als Satans Brut vernichten wollten, ist ebenso unbezähmbar und gefährlich wie ihre Erzeuger, wie Lilith und Satan.
Der Hüter schaudert, wenn er daran
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