Das Testament des Satans
vermutlich mit dem Blut des Opfers gemalt!
Schaudernd blättere ich weiter.
Noch eine Leiche. Die Brust ist so stark zerfetzt, dass die Knochen des Brustkorbs zu sehen sind. Das Herz liegt in einer Blutlache neben dem Toten. Ebenso die Gedärme, die in der Form eines Pentagramms um ihn herum ausgebreitet sind. Wie bei der vorigen Leiche ist der Tatort mit Symbolen des Bösen geschmückt. Alles sehr anschaulich skizziert, mit schwarzrotem Blut. Vor allem das Brustkreuz des Fraters, das verkehrt herum tief in seinem After steckte. Nur die Kette schaute heraus.
Der Kommentar lautet: ›Frère Luc, Dezember 1421.‹
Und so geht es weiter. Die Skelettreste einer halb verwesten Leiche, die offenbar exhumiert wurde – ›Frère Irénée, März 1422‹, offenbar bereits Wochen vorher gestorben und verschollen. Ein Schädel mit einem Schlüssel zwischen den Zähnen – ›Frère Michel, Mai 1422. Nur der Kopf. Der Rest des Leichnams konnte nicht gefunden werden.‹ Ein Leichnam ohne Genitalien, die Zunge zwischen den Beinen mit einem großen Nagel aufgespießt. Daneben ein blutiges Symbol: das Triskell der Kelten, ein Symbol der Dreifaltigkeit – Geburt, Leben und Tod oder Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es sieht aus wie eine dreiarmige, in sich selbst verschlungene Spirale – ›Frère Ronan, Juni 1422.‹ Dem Namen nach war er Bretone, daher das Triskell neben seiner Leiche, das schon in die uralten Menhire eingekratzt ist. Dem Nächsten wurden die Gedärme zerschnitten: eine Lache Urin und ein Haufen Kot sind auf dem Boden neben den Überresten zu einem umgekippten Kreuz verschmiert. Den Gestank kann ich mir lebhaft vorstellen, die Reaktion der Mönche auch – ›Frère Yves, Juni 1422.‹ Und noch ein zerstückelter Leichnam, das Gesicht zerfetzt. Ein auf dem Kopf stehendes Kreuz ist mit Draht an seinem Geschlecht befestigt. Kein Name und kein Datum. Ist er der Gesandte, den mein Cousin Papst Martin zum Mont geschickt hat, damit er das Testament des Satans nach Rom bringt?
Eiskalter Schweiß läuft mir über das Gesicht, während ich immer weiter durch diese Darstellungen unvorstellbarer Gräuel blättere. Den Horror, der seitdem in dieser Abtei das Leben der Mönche beherrscht, das Grauen und die Angst kann ich körperlich spüren. Kein Wunder, dass sie sich in dichte Weihrauchschwaden und fromme Gebete hüllen wie in eine schützende Rüstung.
Nun weiß ich, was mir bevorsteht, wenn der Assassino mich überwältigt. Ich atme tief durch, um die aufsteigende Übelkeit zu bezwingen.
Die Allgegenwart des Teufels in dieser Abtei ruft bei mir eine tiefe Beklommenheit hervor, ein unbestimmtes Gefühl der Angst, stärker als bei den Morden vor zwei Jahren in den Gewölben des Laterans und des Vatikans.
Wozu wurden diese schrecklichen Bilder angefertigt? Und von wem? Vom Serienmörder selbst, dem Schlächter Gottes? Oder ist er ein Henker Satans? Und wieso liegen die Zeichnungen in diesem Loch begraben?
Obwohl ich so übersättigt bin von diesem Horror, dass ich kotzen könnte, mache ich weiter. Mit der Faszination des Grauens suche ich nach einer verborgenen Botschaft in diesem Massaker, nach einem Muster, aber da ist nichts. Es ist schauderhaft, erschreckend und zugleich virtuos inszeniert. Zerfetzte Leichen, herausgerissene Eingeweide, abgetrennte Gliedmaßen, Köpfe, Hände, Zungen, Genitalien. Ekel, Wut, Hass und Angst. Gestank, Gewalt, Tod und Blut. Und rätselhafte Zeichen – umgestürzte Kreuze, umgedrehte Pentagramme, gespiegelte Gottessiegel, verwirbelnde Feuerspiralen, ineinander verkeilte Kettenglieder und viel Seltsames mehr.
Eine mit Blut gemalte Anthologie des Bösen.
Ein Abbild der tiefsten Hölle, eines schwarzen Abgrunds, der im Menschen selbst ist, bis in grausigste Details ausgemalt von einem Todeskünstler.
Ungewollt fühle ich mich an ein Geräusch erinnert, das ich nie vergessen werde. Das grässliche Schmatzen des Dolches, wie er in Yareds Brust eindrang und ihn tödlich verletzte.
Das Herz der Hölle, die Finsternis der Seele ist im Menschen selbst vergraben – du musst dich trauen hineinzusehen, dann wirst du die Wahrheit erkennen. Aber die Wahrheit wird dich nicht frei machen. Sondern elend und traurig.
Das Atmen fällt mir schwer, als würde ich ersticken. Meine Hände zittern so sehr, dass mir einige der Seiten aus den Fingern gleiten. Seit Yareds Tod vor vier Monaten habe ich diese Krisen, die mich immer wieder mit voller Wucht erwischen. Ich bin dann niedergedrückt von
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