Das Testament des Satans
reißt sie die Traurigkeit, die Ohnmacht und die Angst mit sich fort und hinterlässt nur kristallklare Kälte.
Ich raffe meinen Habit und stehe auf. Als eine Sturmbö mich ergreift und ich taumele, packt Robin mich am Arm und hält mich fest. »Alles in Ordnung?«
Ich atme tief durch und nicke.
Vielleicht ist es Conan gelungen, seinen Mörder zu verletzen? Unauffällig blicke ich mich um, ob einer der Fratres Blut auf seinem Habit hat. Aber ich bin der Einzige, der vor Blut trieft.
»Du siehst blass aus, Yannic, und du zitterst. Und du hast Blut im Gesicht. Darf ich?« Mit dem Ärmel seines Habits wischt Robin mir über die Stirn. »Sollen Padric und ich dich ins Dormitorium bringen? Du solltest dich hinlegen.«
»Nein, es geht schon«, winke ich ab. »Ich will wissen, wer das getan hat. Und was die Blutschrift bedeutet.«
Denn ich befürchte das Allerschlimmste.
Mein Gefühl sagt mir, ich bin in eine Falle getappt, die gar nicht mir galt. Aber nun hänge ich mit drin.
Erneut lese ich die kryptische Schrift, die Conans Leichnam umgibt:
HOC ARCANUM SACERDOTIS SUB LUNA ET SOL OPUS SATANAE EST SIC DECEM QUI MIHI PER
Die letzten Buchstaben, die vermutlich auf den Mörder verweisen, haben Robin und ich noch verwischen können, bevor Yvain und die anderen auf die Plattform gestürmt sind.
»Das Geheimnis des Priesters … unter Mond und Sonne … ist ein Werk des Satans … auf diese Weise zehn …«, stammelt Raymond neben mir.
Raymond ist der Spross eines uralten normannischen Adelsgeschlechts, das schon mit Guillaume le Conquérant, William the Conqueror, in Hastings die Engländer das Fürchten lehrte. Nach Raymonds Eintritt in den Orden, was er gegen den Willen seines Vaters tat, hielt ihn seine Familie fast ein Jahr lang auf der väterlichen Burg gefangen. Mein alter Herr tobte auch, als ich ihm sagte, dass ich die Gelübde ablegen wollte, aber am Ende gab er nach. Er verkaufte fast unseren gesamten Besitz, um mir das Studium in Paris zu ermöglichen, ›in der Fremde‹, wie er immer zu mir gesagt hat. Das Festland, die Bretagne westlich von Rennes inbegriffen, war für ihn ein Leben im Exil. Aber mich derart zu behandeln wie Raymonds Vater seinen Sohn, das wäre für meinen alten Herrn undenkbar gewesen. Raymond gelang schließlich die Flucht aus der Burg seiner Familie auf den Mont-Saint-Michel. Seit Geoffreys Tod vor vier Monaten ist er nun Abelards Adlatus und hilft ihm in der Bibliothek und im Archiv.
Raymond sieht mich an. »Zehn was? Zehn weitere Opfer?« Als ich den Kopf schüttele, fährt er mit seiner Übersetzung fort: »Zehn … die durch mich … Dieu du Ciel, das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!«
»Noch zehn Morde? Um Gottes willen!«, flüstert Aimery entsetzt und bekreuzigt sich langsam.
»Ich glaube …«, beginne ich und verstumme wieder.
»Was?«, knurrt Yvain.
»Der Spruch ist ein Anagramm.«
»Sieh an!«, stutzt er mich auf ein für ihn erträgliches Maß zurecht. »Da Gott Euch offenbar erleuchtet hat, Père Yann, seid so gut und erweist uns unwissenden Trotteln doch die Gnade, an Eurem gottgegebenen Wissen teilzuhaben.«
»Ein Anagramm ist ein Wort oder Satz, der durch Umstellung der Buchstaben gebildet wird.«
»Ist Eure Lektion beendet, Père Yann?«
»Ist sie, Père Yvain.«
»Wie schön.« Sein Lächeln lässt mich frösteln. »Nachdem wir nun Euer staunenswertes Wissen angemessen gewürdigt haben, könntet Ihr doch gleich noch mit Eurem exzellenten Latein glänzen. Damit wir die ganze Größe Eures Genies ermessen können. Nun, wie lautet der Text?«
Robin packt mich warnend am Arm. »Lass dich nicht provozieren!«, wispert er.
»Das weiß ich nicht«, gebe ich zu.
Yvain schnaubt. »So.«
Einige der Fratres haben die Schiefertäfelchen hervorgezogen, die sie an einer Schnur am Gürtel tragen, um sich während des Schweigens miteinander zu verständigen. Mit unseren Handzeichen kann man vieles ausdrücken, aber nicht alles.
»Deus … Satanas … Lucifer!« , orakelt Aimery düster. »Die unheilige Dreifaltigkeit der Luciferianer. Man kann die Namen aus den Buchstaben bilden.« Der ehemalige Inquisitor, der aus dem Dominikanerorden geworfen wurde, deutet auf die Blutschrift.
»Die Anhänger des Lucifer?«, fragt Raymond mit aufgerissenen Augen.
»Sie glauben, dass Lucifer zu Unrecht aus dem Himmel verbannt wurde. Sie verehren ihn als Engel des Lichts und als Befreier der Menschen aus der Unterdrückung durch Gott. In Messen, die von Priesterinnen geleitet
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