Das Teufelsspiel
nötig, konnte er die Örtlichkeiten beschreiben.) Dann sagte er, einer der Bibliothekare habe gehört, Mathers hätte sich für die Geschichte New Yorks interessiert, vor allem für die Wiederaufbauphase im neunzehnten Jahrhundert. War da was dran?
Der Professor lachte überrascht auf. »Ja, das stimmt tatsächlich. Aber ich habe nicht für mich nachgeforscht, sondern für eine Schülerin, der ich behilflich bin. Sie ist gerade hier bei mir.«
Gott sei Dank. Das Mädchen war noch da. Er konnte sich endlich alles vom Hals schaffen und sein Leben weiterleben.
Ashberry sagte, er habe umfangreiches Material aus Philadelphia mitgebracht. Würden Mathers und seine Schülerin womöglich gern einen Blick darauf werfen?
Der Professor erwiderte, das würden sie sehr gern. Dann dankte er Macy und fragte, wann er kurz vorbeikommen könne.
Im Alter von siebzehn Jahren hatte Billy Ashberry einem älteren Ladeninhaber ein Teppichmesser an den Oberschenkel gehalten und ihn an die ausstehenden Schutzgeldzahlungen erinnert. Für jeden Tag, den das Geld überfällig war, würde die Länge des bevorstehenden Schnitts um zweieinhalb Zentimeter zunehmen – es sei denn, der Mann bezahlte sofort. Damals war seine Stimme genauso ruhig wie in diesem Moment gewesen. »Ich reise heute Abend ab, aber ich könnte jetzt gleich vorbeikommen«, sagte er zu Mathers. »Falls Sie möchten, können Sie sich Kopien anfertigen. Haben Sie einen Fotokopierer?«
»Ja, habe ich.«
»Dann sehen wir uns in ein paar Minuten.«
Sie legten auf. Ashberry griff in den Karton und legte den Sicherungshebel der Schrotflinte um. Dann nahm er die Kiste und ging auf das Gebäude zu. Der kalte Wind wirbelte das Herbstlaub auf.
… Vierzig
»Professor?«
»Sie sind Steve Macy?« Der mit Fliege und Tweedsakko wenig elegant gekleidete Dozent saß hinter seinem Schreibtisch, auf dem sich Papiere türmten.
Ashberry lächelte. »Ja, Sir.«
»Ich bin Richard Mathers. Das ist Geneva Settle.«
Eine schlanke Halbwüchsige, deren Haut so dunkel wie die des Professors war, sah ihn an und nickte. Dann musterte sie neugierig den Karton, den er hielt. Sie war so jung. Konnte er sie wirklich töten?
Dann sah er die Trauung seiner Tochter auf dem Anleger des Sommerhauses vor sich, gefolgt von mehreren kurzen Gedanken: der Mercedes AMG, den seine Frau haben wollte, seine Mitgliedschaft im Augusta-Golfclub, das für heute geplante Abendessen im L’Étoile, dem von der New York Times soeben erst drei Sterne verliehen worden waren.
Diese Bilder beantworteten seine Frage.
Ashberry stellte den Karton ab und registrierte erleichtert, dass sich kein Polizist im Raum aufhielt. Er gab Mathers die Hand. Und dachte: Scheiße, man kann auch auf menschlichem Fleisch Fingerabdrücke sicherstellen. Er würde sich nachher die Zeit nehmen müssen, die Hände des Mannes abzuwischen. (Er erinnerte sich daran, was Thompson Boyd ihm eingeschärft hatte: Wenn man jemanden tötete, musste man in jeder Hinsicht überaus korrekt vorgehen oder man ließ es besser ganz sein.)
Ashberry lächelte das Mädchen an. Und gab ihr nicht die Hand. Dann schaute er sich im Büro um und überlegte das weitere Vorgehen.
»Bitte verzeihen Sie das Durcheinander«, sagte Mathers.
»Bei mir sieht’s genauso aus«, entgegnete er und lachte auf. Das Zimmer war voller Bücher, Zeitschriften und Fotokopien. An der Wand hingen mehrere Diplome. Demnach war Mathers kein Geschichts-, sondern ein Juraprofessor. Offenbar ein weithin bekannter. Ashberry sah zwei Fotos; auf dem einen stand der Professor neben Bill Clinton, auf dem anderen neben dem ehemaligen Bürgermeister Giuliani.
Bei diesem Anblick stellte sich abermals so etwas wie Reue ein, doch nur für einen flüchtigen Moment. Es störte Ashberry nicht, dass er sich mit zwei Toten in ein und demselben Raum befand.
Sie plauderten ein paar Minuten, wobei Ashberry vage von Schulen und Bibliotheken in Philadelphia erzählte, ohne direkt zu verraten, für welches Thema er angeblich recherchierte. Stattdessen ging er in die Offensive. »Was genau ist denn Ihr Interessengebiet?«, fragte er den Professor.
Mathers verwies auf Geneva, die ihm erklärte, dass sie mehr über ihren Vorfahren Charles Singleton herausfinden wollten, einen früheren Sklaven. »Das war ziemlich seltsam«, sagte sie. »Die Polizei dachte, es bestünde eine Verbindung zwischen ihm und einigen Verbrechen, die in den letzten Tagen geschehen sind. Das hat sich als Irrtum
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