Das Teufelsspiel
herausgestellt. Aber wir möchten trotzdem gern wissen, was aus ihm geworden ist. Es scheint keinerlei Aufzeichnungen zu geben.«
»Schauen wir doch mal, was Sie da haben«, sagte Mathers und räumte einen niedrigen Tisch frei, der vor seinem Schreibtisch stand. »Ich hole Ihnen einen Stuhl.«
Es ist so weit, dachte Ashberry. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Er dachte an das Teppichmesser, wie es das Bein des Ladeninhabers aufschnitt – fünf Zentimeter für die beiden Tage Überziehung. Die Schreie des Mannes hatte er kaum wahrgenommen.
Dachte an all die Jahre knüppelharter Arbeit, die ihn dorthin gebracht hatten, wo er heute war.
Dachte an Thompson Boyds tote Augen.
Und wurde sofort wieder ruhig.
Sobald Mathers auf den Korridor hinaustrat, schaute der Banker aus dem Fenster. Der Polizist saß weiterhin im Wagen, gut fünfzehn Meter von hier entfernt. Das Gebäude war so massiv, dass er die Schüsse vielleicht nicht einmal hören würde. Geneva saß auf der anderen Seite des Schreibtisches. Ashberry bückte sich und kramte in den Papieren herum. Er nahm die Schrotflinte.
»Haben Sie irgendwelche Fotos entdeckt?«, fragte Geneva. »Mich wurde interessieren, wie das Viertel damals ausgesehen hat.«
»Es müssten ein paar dabei sein.«
Mathers kam zurück. »Möchten Sie einen Kaffee?«, rief er vom Flur aus.
»Nein danke.«
Ashberry wandte sich zur Tür.
Jetzt!
Er erhob sich und nahm die Waffe aus dem Karton, hielt sie aber unterhalb Genevas Augenhöhe, damit sie sie nicht sehen konnte.
Er richtete die Mündung auf den Eingang und legte den Finger um den Abzug.
Doch irgendwas stimmte hier nicht. Mathers kam nicht.
In diesem Moment spürte Ashberry etwas Metallisches am Ohr.
»William Ashberry, Sie sind verhaftet. Ich habe eine Waffe.« Es war die Stimme des Mädchens, aber sie klang auf einmal viel erwachsener. »Legen Sie die Flinte auf den Tisch. Langsam.«
Ashberry erstarrte. »Aber …«
»Die Schrotflinte. Legen Sie sie hin.« Das Mädchen stieß seinen Kopf mit der Pistole an. »Ich bin Polizeibeamtin. Und ich werde meine Waffe benutzen.«
O Gott, nein … Das alles war ein Hinterhalt!
»Hören Sie gut zu. Sie werden tun, was meine Kollegin sagt.« Das war der Professor – bei dem es sich natürlich ebenfalls nicht um den echten Mathers handelte, sondern um einen Ersatzmann, einen Cop, der sich für den Professor ausgab. Ashberry warf einen Blick zur Seite. Der Mann hatte das Büro durch einen Nebeneingang betreten. Um seinen Hals hing ein Dienstausweis des FBI. Auch er hielt eine Pistole in der Hand. Wie, zum Teufel, hatten sie ihm diese Falle stellen können?, wunderte Ashberry sich entsetzt.
»Und die Mündung der Schrotflinte bleibt nach vorn gerichtet. Alles klar?«
»Dies ist die letzte Aufforderung«, sagte das Mädchen ruhig. »Legen Sie die Waffe hin.«
Er rührte sich immer noch nicht.
Ashberry dachte an seinen Großvater, den Gangster; er dachte an den schreienden Ladeninhaber, und er dachte an die Hochzeit seiner Tochter.
Was würde Thompson Boyd tun?
Nüchtern seine Chance überdenken und aufgeben. Kommt nicht in Frage! Ashberry ging blitzschnell in die Hocke, wirbelte herum und riss die Schrotflinte hoch. »Nicht!«, rief jemand. Das war das letzte Wort, das er hörte.
… Einundvierzig
»Toller Ausblick«, sagte Thom.
Lincoln Rhyme schaute zum Fenster hinaus auf den Hudson River, die Felsklippen der Palisades am anderen Ufer und die fernen Hügel von New Jersey. Vielleicht sogar bis nach Pennsylvania. Er wandte sich sofort wieder ab. Seine Miene verriet, dass er jedweden Panoramablick sowie den Hinweis darauf als vollkommen unsinnig empfand.
Sie befanden sich im Büro des verstorbenen William Ashberry, gelegen an der Zweiundachtzigsten Straße West in der obersten Etage der Hiram-Sanford-Villa, dem Sitz der Sanford-Stiftung. Die Wall Street verdaute immer noch die Nachricht vom Tod des Mannes und seiner Verwicklung in eine Reihe kürzlich verübter Verbrechen. Doch die Welt der Hochfinanz drehte sich weiter. Im Vergleich zu den Betrügereien, die beispielsweise die Vorstände von Enron oder Global Crossing an ihren Aktionären und Angestellten begangen hatten, war der Tod des unredlichen Vorstandsmitglieds eines profitablen Unternehmens keine allzu außergewöhnliche Neuigkeit.
Amelia Sachs hatte das Büro bereits durchsucht, einige Teile des Raumes mit Absperrband gesichert und alle Beweisstücke entfernt, die Ashberry mit Boyd in Verbindung
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