Das Teufelsspiel
ein geborener forensischer Wissenschaftler, und das bedeutete einen großen Unterschied. Es wird oft angenommen, der Begriff »forensisch« beziehe sich auf die Spurensicherung, doch in Wahrheit bezeichnete er alle Aspekte einer gerichtlich zu verwertenden Untersuchung. Als erfolgreicher Kriminalist musste man in der Lage sein, nüchterne Fakten so zu präsentieren, dass sie der Staatsanwaltschaft von Nutzen waren. So reichte es beispielsweise nicht aus, die an einem mutmaßlichen Tatort gefundenen Pflanzenpartikel lediglich als Teile des Brechnussbaumes zu identifizieren – wie man sie in vielen harmlosen Arzneien verwendete, etwa zur Behandlung einer Ohrenentzündung. Ein echter forensischer Wissenschaftler wie Mel Cooper würde sofort wissen, dass aus den Samen dieses Baumes das tödliche Alkaloid Strychnin gewonnen wurde.
Cooper wies alle Anzeichen eines Computerfreaks auf: Er wohnte bei seiner Mutter, trug immer noch Madrashemden und Bundfaltenhosen und hatte die Statur von Woody Allen. Aber der äußere Anschein trog. Coopers langjährige Freundin war eine hochgewachsene, atemberaubende Blondine. Zusammen mit ihr schwebte er in perfekter Harmonie über die Tanzflächen großer Ballsäle und hatte dabei schon so manchen Wettbewerb gewonnen. Seit kurzem interessierten die beiden sich für Tontaubenschießen und Weinbau (was Cooper dazu nutzte, sich akribisch mit den jeweiligen physikalischen und chemischen Gegebenheiten zu befassen).
Rhyme setzte ihn nun über den Fall in Kenntnis, dann wandten sie sich den Beweisen zu. »Machen wir uns an die Arbeit«, sagte der Kriminalist.
Cooper streifte Latexhandschuhe über und schaute zu Sachs, die auf die Papiertüte mit den sichergestellten Gegenständen wies. Er öffnete sie über einem großen Bogen Zeitungspapier, um eventuelle Partikel aufzufangen, und nahm den Inhalt heraus. Es handelte sich um eine dünne Plastiktüte; sie war nicht mit dem Logo eines Geschäfts bedruckt, sondern mit einem großen gelben Smiley. Der Techniker öffnete auch sie und hielt inne. »Ich rieche etwas«, sagte er und atmete tief ein. »Irgendwie blumig. Was ist das?« Cooper ging mit der Tüte zu Rhyme und ließ ihn daran riechen. Der Duft kam ihm bekannt vor, aber er war sich nicht sicher. »Geneva?«
»Ja?«
»Ist das der gleiche Geruch wie vorhin in der Bibliothek?«
Sie schnupperte daran. »Ja, das ist er.«
»Jasmin«, sagte Sachs. »Ich glaube, das ist Jasmin.«
»Das muss in die Tabelle«, verkündete Rhyme.
»Welche Tabelle?«, fragte Cooper und sah sich um.
Rhyme ließ bei jedem seiner Fälle eine Tabelle anlegen, in der auf einer großen weißen Wandtafel alle wichtigen Einzelheiten der Ermittlungen festgehalten wurden. »Fangt eine an«, befahl er. »Und wir müssen ihm einen Namen geben. Hat jemand eine Idee?«
Niemand meldete sich zu Wort.
»Uns bleibt keine Zeit, auf eine Erleuchtung zu warten«, sagte Rhyme. »Wir haben Oktober, und heute ist der neunte, nicht wahr? Zehn-neun. Also nennen wir ihn Täter eins-null-neun. Thom! Deine elegante Handschrift ist gefragt.«
»Bloß nicht zu freundlich«, sagte der Betreuer, der mit einer frischen Kanne Kaffee den Raum betrat.
»Täter eins-null-neun. Eine Spalte für den Tatort, eine für das Täterprofil. Er ist ein Weißer. Größe?«
»Keine Ahnung«, sagte Geneva. »Für mich ist jeder groß. Eins achtzig, schätze ich.«
»Du scheinst recht aufmerksam zu sein. Wir übernehmen deine Schätzung. Gewicht?«
»Nicht zu viel und nicht zu wenig.« Sie verstummte einen Moment, sichtlich bekümmert. »Ungefähr wie Dr. Barry.«
»Schreiben Sie achtzig Kilo«, sagte Sellitto. »Alter?«
»Ich weiß es nicht. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen.«
»Stimme?«
»Ich hab nicht darauf geachtet. Durchschnittlich, würde ich sagen.«
»Außerdem hellbraune Schuhe, eine dunkle Hose, eine dunkle Skimaske«, fuhr Rhyme fort. »Utensilien in einer Tüte, die nach Jasmin riecht. Er riecht ebenfalls danach. Vielleicht eine Seife oder Lotion.«
»Utensilien?«, fragte Thom. »Was ist damit gemeint?«
»Für die Vergewaltigung«, sagte Geneva und sah zu Rhyme. »Sie brauchen keine Rücksicht auf mich zu nehmen. Falls das Ihre Absicht war.«
»In Ordnung.« Rhyme nickte ihr zu. »Lasst uns weitermachen.« Ihm fiel auf, dass Sachs’ Miene sich verfinsterte, als Cooper die Tüte nahm.
»Was ist los?«
»Dieses Smiley. Auf einer Tüte mit derartigem Inhalt. Was für ein krankes Arschloch würde so etwas tun?«
Er war
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