Das Teufelsspiel
lautlosen Pfiff aus und betrachtete das zum Artikel gehörende Foto, auf dem der leitende Bibliothekar, den er vor kurzem getötet hatte, vor dem Museum stand und mit einem uniformierten Polizisten redete. Die Bildunterschrift besagte: Dr. Donald Barry kurz vor seiner Ermordung im Gespräch mit der Polizei.
Aufgrund ihres Alters wurde Geneva Settle nicht namentlich genannt, doch es hieß, sie sei Schülerin einer Highschool in Harlem. Thompson nahm die Information dankbar zur Kenntnis; er hatte nicht gewusst, in welchem Stadtbezirk das Mädchen wohnte. Dann stöpselte er sein Mobiltelefon in den USB-Port des Computers ein, übertrug das Foto, das er von dem Mädchen geschossen hatte, auf die Festplatte des Rechners und schickte es an eine anonyme E-Mail-Adresse.
Er beendete die Onlinesitzung, zahlte – selbstverständlich in bar – seine Gebühr und schlenderte den unteren Teil des Broadway entlang, ganz in der Nähe der Wall Street. An einem Stand kaufte er einen Kaffee, trank die Hälfte, schob dann die gestohlenen Mikrofiches in den Pappbecher, setzte den Deckel wieder auf und warf alles in einen Abfalleimer.
An einer Telefonzelle blieb er stehen und schaute sich um. Niemand schenkte ihm auch nur die geringste Beachtung. Er wählte eine Nummer. Die Mailbox meldete sich nicht mit einer Ansage, nur mit einem Piepton. »Ich bin’s. Die Settle-Situation ist noch nicht geklärt. Sie müssen für mich herausfinden, auf welche Schule sie geht oder wo sie wohnt. Sie ist Schülerin einer Highschool in Harlem. Mehr weiß ich nicht. Ich habe Ihnen per E-Mail ein Foto von ihr geschickt … Ach, eines noch. Falls Sie Gelegenheit haben, sich selbst um sie zu kümmern, sind für Sie weitere fünfzigtausend drin. Rufen Sie mich an, sobald Sie diese Nachricht erhalten. Dann besprechen wir die Einzelheiten.« Thompson nannte die Nummer des Apparats, vor dem er stand, und legte auf. Er trat zurück, verschränkte die Arme und wartete. Dabei pfiff er leise vor sich hin. Schon nach den ersten Takten von Stevie Wonders »You are the Sunshine of My Life« klingelte das Telefon.
… Sieben
Der Kriminalist sah Sellitto an. »Wo ist Roland?«
»Bell? Er hat einen Zeugen aus einem Schutzprogramm irgendwo außerhalb untergebracht, müsste aber inzwischen zurück sein. Meinst du, wir sollten ihn hinzuziehen?«
»Ja«, sagte Rhyme.
Sellitto rief den Detective auf dessen Mobiltelefon an. Rhyme entnahm dem Gespräch, dass Bell sein Büro am Police Plaza sofort verlassen und sich auf den Weg zu ihnen machen würde.
Ihm fiel Genevas skeptische Miene auf. »Detective Bell wird auf dich aufpassen. Wie ein Leibwächter. Bis die Angelegenheit geklärt ist … Also, hast du eine Ahnung, was Charles angeblich gestohlen haben soll?«
»In dem Artikel war die Rede von Gold oder Geld, ich weiß nicht mehr genau.«
»Verschwundenes Gold. Ah, das ist interessant. Habgier – eines der häufigsten Motive.«
»Könnte dein Onkel etwas darüber wissen?«, fragte Sachs.
»Mein Onkel? Nein, nein, er ist der Bruder meiner Mutter. Charles war ein Vorfahr meines Vaters. Und Dad wusste nur wenig. Meine Großtante hat mir ein paar Briefe von Charles gegeben. Mehr als das konnte sie mir leider nicht über ihn erzählen.«
»Wo sind sie? Diese Briefe?«, fragte Rhyme.
»Einen habe ich dabei.« Sie kramte in ihrem Rucksack und holte ihn heraus. »Die anderen sind bei mir zu Hause. Meine Tante glaubte, sie hätte vielleicht noch ein paar Kartons mit Sachen von Charles, aber sie wusste nicht mit Sicherheit, wo die stecken könnten.« Geneva verstummte. Ihre dunkle Stirn legte sich in Falten. »Darf ich was sagen?«, fragte sie Sachs. »Vielleicht hilft es ja weiter.«
»Na klar«, sagte Amelia.
»Ich hab es in einem der Briefe gelesen. Charles erwähnt da ein Geheimnis.«
»Ein Geheimnis?«, fragte Sachs.
»Ja, er schreibt, es mache ihm zu schaffen, dass er die Wahrheit nicht enthüllen dürfe. Doch falls er es täte, gäbe es ein Unglück, eine Tragödie. Irgendwie so was.«
»Vielleicht hat er damit seinen Diebstahl gemeint«, sagte Rhyme.
Geneva richtete sich auf. »Ich halte ihn nicht für einen Dieb. Ich glaube, er wurde hereingelegt.«
»Wieso?«, fragte Rhyme.
Sie zuckte die Achseln. »Lesen Sie den Brief.« Geneva wollte ihn Rhyme geben, hielt mitten in der Bewegung inne und reichte das Schreiben an Cooper weiter, ohne sich für den Fauxpas zu entschuldigen.
Der Techniker scannte die Seiten ein, und kurz darauf wurde die
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