Das Teufelsspiel
Apartment kam ihm irgendwie kalt vor. Makellos weißes Mobiliar, Leder und Leinen, alles mit Schutzhüllen aus Plastik überzogen. Tonnenweise Bücher, afrikanische und karibische Skulpturen und Gemälde, eine Porzellanvitrine mit offenbar wertvollem Geschirr und Weingläsern. Afrikanische Masken. Kaum etwas Sentimentales, Persönliches. So gut wie keine Familienfotos.
Bells Haus war bis obenhin voll mit Schnappschüssen – vor allem von seinen zwei Söhnen und ihren Cousins und Cousinen daheim in North Carolina. Außerdem ein paar Bilder seiner verstorbenen Frau, doch aus Rücksicht auf seine neue Freundin – Lucy Kerr, die das Sheriffs Department einer südlichen Kleinstadt leitete – keine von Bell und ihr als Paar, sondern nur die Mutter mit ihren Kindern. (Lucy, die an seinen Wänden ebenfalls häufig vertreten war, hatte die Fotos der ehemaligen Mrs. Bell und ihrer Söhne gesehen und gesagt, sie rechne es ihm hoch an, die Bilder nicht abgehängt zu haben. Und Lucy meinte stets, was sie sagte.)
Bell fragte Genevas Onkel, ob ihm in letzter Zeit verdächtige Personen im Umkreis des Hauses aufgefallen seien.
»Nein, Sir. Keine Menschenseele.«
»Wann kommen die Eltern Ihrer Nichte zurück?«
»Ich weiß es nicht, Sir. Geneva war diejenige, die mit ihnen gesprochen hat.«
Fünf Minuten später kam das Mädchen zurück und reichte Bell einen Umschlag, der zwei vergilbte, zerknitterte Briefbogen enthielt. »Das sind sie.« Sie zögerte. »Bitte gehen Sie behutsam damit um. Ich habe keine Kopien.«
»Oh, da kennst du Mr. Rhyme aber schlecht, junge Dame. Er behandelt Beweisstücke, als wären sie der Heilige Gral.«
»Ich komme gleich nach der Schule nach Hause«, sagte Geneva zu ihrem Onkel. »Wir können los«, wandte sie sich an Bell.
»Hör mal, Mädchen«, sagte ihr Onkel. »Ich möchte, dass du höflich bist, so wie ich es dir beigebracht habe. Wenn du mit einem Polizisten sprichst, sagst du ›Sir‹.«
»Weißt du nicht mehr, was Dad gesagt hat?«, erwiderte sie mit ruhiger Stimme. »Dass man sich das Recht verdienen muss, ›Sir‹ genannt zu werden? Nun, das denke ich auch.«
Der Onkel lachte. »Das ist mal wieder unverkennbar meine Nichte. Sie hat zu allem eine eigene Meinung. Und dafür lieben wir sie. Lass dich drücken, Kleines.«
Verlegen, so wie Bells Söhne, wenn er sie in aller Öffentlichkeit in den Arm nahm, ließ das Mädchen die Umarmung über sich ergehen.
Im Treppenhaus gab Bell die Briefe an den Streifenbeamten weiter. »Bringen Sie das auf direktem Weg zu Lincoln Rhyme.«
»Jawohl, Sir.«
Nachdem der Officer gegangen war, setzte Bell sich über Funk mit Martinez und Lynch in Verbindung. Sie meldeten, die Straße sei sicher. Er brachte das Mädchen nach unten und zum Wagen. Pulaski kam angelaufen und stieg zu ihnen ein.
Als Bell den Motor anließ, wandte er sich zu Geneva um. »Ach, sag mal, junge Dame, könntest du mir aus deinem Rucksack ein Buch leihen, das du heute nicht brauchst?«
»Ein Buch?«
»Ja, ein Schulbuch.«
Sie fand eines. »Gemeinschaftskunde? Das ist aber ziemlich langweilig.«
»Oh, ich habe nicht vor, es zu lesen. Ich will nur aussehen wie ein Vertretungslehrer.«
Sie nickte. »Sie wollen sich als Lehrer ausgeben. Mann, das ist cool.«
»Dachte ich mir auch. Würdest du nun bitte den Sicherheitsgurt anlegen? Ich wäre dir wirklich sehr dankbar. Ihnen auch, Officer.«
… Neun
Täter 109 mochte ein Sexualverbrecher sein oder auch nicht, seine DNS war jedenfalls nicht in der CODIS-Datenbank gespeichert.
Die negative Auskunft war typisch für den Mangel an Spuren in diesem Fall, dachte Rhyme entnervt. Die Gerichtsmedizin hatte ihnen die Projektilfragmente aus Dr. Barrys Leiche geschickt, aber die waren sogar noch stärker zersplittert als die Geschossreste aus dem Bein der Passantin und ließen sich ebenfalls nicht über IBIS oder DRUGFIRE zuordnen.
Des Weiteren lagen ihnen inzwischen mehrere Aussagen aus dem afroamerikanischen Museum vor. Dr. Barry hatte gegenüber keinem der Angestellten erwähnt, dass sich noch eine zweite Person für die 1868er Ausgabe von Coloreds’ Weekly Illustrated interessierte. Auch die Telefondaten des Museums erwiesen sich als unbrauchbar: Alle Anrufe landeten bei einem zentralen Anschluss und wurden von dort an die Nebenstellen weitergeleitet, ohne dass darüber Aufzeichnungen existierten. Die auf Barrys Mobiltelefon geführten Gespräche lieferten ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte.
Cooper berichtete, was
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