Das Teufelsspiel
auf Schussweite herangekommen.
Tapp, tapp, tapp.
Dieses eine Fenster, ganz rechts, im ersten Stock … Sellitto hatte den Eindruck, dort habe sich ein- oder zweimal etwas bewegt.
Vielleicht war es bloß der Wind. Vielleicht aber rührte die Bewegung auch von jemandem her, der versuchte, das Fenster zu öffnen.
Oder von dort aus ein Ziel anzuvisieren.
Tapp.
Er erschauderte und wich zurück.
»He«, rief er einem ESU-Beamten zu, der soeben aus dem Kräuterladen trat. »Da oben – sehen Sie da auch was am Fenster?«
»Welches denn?«
»Das da.« Sellitto beugte sich ein Stück aus der Deckung vor und wies auf das schwarze gläserne Rechteck.
»Nein. Aber der Schuppen wurde abgesucht. Haben Sie es noch nicht gehört?«
Sellitto beugte sich etwas weiter vor, hörte tapp, tapp, tapp, sah braune Augen leblos werden. Mit verkniffener Miene musterte er zitternd und argwöhnisch das Fenster. Dann registrierte er am linken Rand seines Sichtfelds urplötzlich eine Bewegung und hörte, wie sich quietschend eine Tür öffnete. Etwas Metallisches blitzte im Sonnenschein auf.
Das ist er!
»O Gott«, flüsterte Sellitto. Er griff nach seinem Revolver, ging in die Hocke und wirbelte herum. Doch anstatt sich an die Vorschrift zu halten und beim schnellen Ziehen einer Waffe den Finger nicht um den Abzug zu legen, riss er den Colt panisch aus dem Holster.
Und so löste sich im nächsten Moment ein Schuss. Die Kugel flog genau auf die Stelle zu, an der Amelia Sachs hinter der Kellertür des Lagerhauses zum Vorschein kam.
… Vierzehn
Thompson Boyd stand an der Ecke Canal Street und Sechste Avenue, ein Dutzend Blocks von seinem Versteck entfernt, und wartete, dass die Ampel auf Grün springen würde. Keuchend wischte er sich das feuchte Gesicht ab.
Er war nicht aufgewühlt und erst recht nicht in Panik – die Atemnot und der Schweiß rührten von dem Sprint her, mit dem er sich in Sicherheit gebracht hatte. Aber es interessierte ihn, wie es der Polizei gelungen war, ihn aufzuspüren. Er ließ bei den Personen, mit denen er zu tun hatte, und den Telefonen, die er benutzte, stets äußerste Vorsicht walten. Und er vergewisserte sich ständig, dass er nicht verfolgt wurde. Demnach musste es wohl an den sichergestellten Spuren gelegen haben. Das ergab einen Sinn – denn er war sich ziemlich sicher, dass die Frau in Weiß, die sich wie eine Gehörnte Klapperschlange durch die Museumsbibliothek gewunden hatte, nun auch vor seiner Wohnungstür in der Elizabeth Street aufgetaucht war. Was aus dem Museum hatte ihn verraten? Etwas aus der Tüte? Irgendwelche Partikel von seinen Schuhen oder der Kleidung?
Dies waren die besten Ermittler, mit denen er je zu tun gehabt hatte. Das durfte er ab jetzt nicht mehr vergessen.
Er ließ den Blick über den Verkehr schweifen und vollzog in Gedanken noch einmal die Flucht nach. Als er die Beamten die Treppe heraufkommen sah, hatte er hastig das Buch und die Einkäufe aus der Eisenwarenhandlung in der Tüte verstaut, sich seinen Aktenkoffer und die Waffe gegriffen und dann den Schalter umgelegt, der den Türknauf unter Strom setzte. Danach hatte er die Putzschicht von der Wand getreten, war in das benachbarte Lagerhaus gekrochen, dort auf das Dach gestiegen und nach Süden zum Ende des Blocks gerannt. Über eine Feuertreppe hatte er die Straße erreicht und war nach Westen gelaufen, und zwar auf der Route, die er sich vorher zurechtgelegt hatte und Dutzende Male abgegangen war.
Nun, an der Kreuzung von Canal Street und Sechster Avenue, stand er mitten in der Menge vor einer roten Ampel und hörte die Sirenen der Polizeiwagen, in denen die saßen, die nach ihm suchten. Sein Gesicht war ausdruckslos, seine Hände zitterten nicht, er war nicht wütend, er war nicht erschrocken. So musste es sein. Er hatte es immer wieder erlebt, hatte Dutzende von professionellen Killern gekannt, die in Panik gerieten, angesichts der Polizei die Nerven verloren und schließlich unter dem Druck eines Routineverhörs einknickten. Oder sie wurden unachtsam und ließen bei der Arbeit Beweise oder lebende Zeugen zurück. Emotionen – Liebe, Wut, Angst machten dich nachlässig. Du musstest gelassen und distanziert bleiben.
Taub …
Als mehrere Streifenwagen mit hoher Geschwindigkeit die Sechste Avenue heraufkamen, legte Thompsons Hand sich in der Tasche seines Regenmantels um den Griff des Revolvers. Die Fahrzeuge bogen mit quietschenden Reifen um die Ecke und fuhren in Richtung Osten auf der Canal
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