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Das tibetische Orakel

Titel: Das tibetische Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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schien mit dem Stab nach Padme schlagen zu wollen, doch auch der junge Mönch starrte ungläubig auf den Inhalt des Päckchens. Es war Draktes zerfleddertes Geschäftsbuch, das Shan zuletzt am Vorabend in der Höhle gesehen hatte. Die Frau überflog ein paar Seiten und hob dann empört den Kopf.
    Sie schien vor Wut regelrecht zu zittern. Dann nahm sie den Strohhut ab. »Soldaten der öffentlichen Sicherheit«, rief sie. »Gebt euch innerhalb der nächsten sechzig Sekunden zu erkennen, und ihr werdet nicht bestraft. Das ist ein Befehl eurer Generalin!«
    Die Schreihälse benötigten keine weitere Aufforderung und keine Diskussion. Manche von ihnen fluchten, andere stöhnten, aber alle zogen schnell die weißen Hemden aus und liefen in Richtung Lager davon. Zwei Männer in der regulären grauen Uniform der öffentlichen Sicherheit gingen auf Khodrak und Padme zu. Khodrak starrte die Frau an. Er war leichenblaß, hielt den Stab mit beiden Händen umklammert und mußte sich darauf stützen. Ein anderer Kriecher kam zu Shan und streckte die Hand aus.
    Shan gab ihm das Foto des Landhauses, das gefaltete Fax mit den erfundenen Namen, die man zu Tuan zurückverfolgen würde, und schließlich den gelben Zettel, den Drakte am Abend vor seinem Tod von Chao erhalten hatte. Der Kriecher musterte ihn zögernd und wandte sich dann zu der Frau auf der Plattform um, die ihre Hand bereits nach den Papieren ausstreckte.
    Auf einmal wies Padme in Richtung des Hangs, auf dem Larkin und die Tibeter gearbeitet hatten. »Diese Heiden!« rief er mit einer seltsamen Mischung aus Ärger und Hoffnung und rannte zwischen den Soldaten hindurch.
    Somo hatte die Stelle erreicht, erkannte Shan. Einer der Felsbrocken dort war nun mit leuchtendroter Farbe gestrichen. Die Gottheit hatte sich abermals offenbart.
    Lin schüttelte verdrossen den Kopf und sagte etwas zu einem der Offiziere, der daraufhin zu den Zelten lief. Die meisten der Funktionäre auf der Plattform verfolgten immer noch aufmerksam sämtliche Geschehnisse, als gehöre dies alles zu der geplanten Feier.
    Mit metallischem Klirren kam der Kampfpanzer aus dem Schatten des Lagers zum Vorschein; der Offizier stand in der offenen Turmluke. Hundert Meter vor dem Lager blieb der Panzer stehen. Das Geschütz richtete sich auf den fernen Hang und schoß dann in schneller Folge drei Granaten ab.
    Der Boden am südlichen Ausgang des Tals explodierte sofort, genau wie beim Angriff auf den ersten Götterfelsen. Trümmer regneten herab, und eine Staubwolke stieg auf. Die dritte Granate führte zu einer wesentlich stärkeren Detonation als die ersten beiden Treffer. Larkin und ihre Leute hatten dort nicht nur gegraben, sondern außerdem die Sprengsätze deponiert. Der Panzerkommandant wirkte ziemlich verwirrt, während er den Feuerball und die hochgeschleuderten Gesteinsmassen durch ein Fernglas betrachtete. Er sah zu Lin und zuckte die Achseln. Mehrere der Funktionäre applaudierten. Anscheinend gefiel es ihnen, daß die Armee die Feier durch ein kleines Feuerwerk auflockerte.
    Lin starrte erst auf den Hang, wo der Staub sich schnell wieder legte, und dann zu Shan. Plötzlich klappte sein Unterkiefer herunter, und die Menge raunte erstaunt, weil eine riesige Kreatur am Rand der Grabungsstelle aufgetaucht war. Jampa stand dort und schnüffelte an der frisch aufgewühlten Erde. Der Yak ging langsam zu der Kiste, in der Ma die Artefakte verwahrte, roch daran und berührte sie mit der Schnauze. Alle beobachteten schweigend, wie das Tier gemächlich zwischen Shan und Khodrak und danach an Lin vorbeiging, stehenblieb und zur gegenüberliegenden Seite des Tals schaute. Es neigte den wuchtigen Kopf, reckte die Nase hoch in die Luft und stieß ein langgezogenes, überaus lautes Brummen aus. Jedermann schien nur Augen für das Tier zu haben, manche belustigt, andere ernst und ehrfürchtig, als spürten sie, daß der Yak versuchte, mit ihnen oder mit etwas in den Bergen zu sprechen. Wie zur Antwort ertönte von dem fernen Hang ein gedämpfter Donner. Nicht wirklich ein Donner, sondern eher ein Grollen aus dem Bauch der Erde.
    »Ein Beben!« rief einer der Ölarbeiter.
    Noch immer rührte sich niemand. Alle Blicke folgten denen des mächtigen Yaks zum Hang, wo das Grollen zuzunehmen schien, als staue sich immer mehr Druck auf. Irgend etwas gab nach, und ein merkwürdiges Rauschen war zu hören, gefolgt von einer undeutlichen Bewegung am Hang.
    Das gespannte Schweigen hielt an und wurde schließlich von Jenkins

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