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Das tibetische Orakel

Titel: Das tibetische Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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sei in den Mord verwickelt? Aber für Ermittlungen in Mordfällen war nicht das Büro für Religiöse Angelegenheiten zuständig, sondern die Öffentliche Sicherheit. Und die Kriecher verfolgten einen alten Lama. Hielten sie den Lama für den Mörder?
    Als Shan den Hügelkamm erreichte, gab er Lokesh eine der Broschüren. Im Innern fand sich ein Foto des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, das man primitiv über ein Bild des Potala Palasts in Lhasa gelegt hatte, gefolgt von mehreren Absätzen in kleiner Schrift. Dremu streckte den Arm aus, nahm dem alten Tibeter das Pamphlet ab und steckte es ein, ohne einen Blick darauf zu werfen. »Guter Zunder. Die Schreihälse haben immer genug Papier, um ein schönes Feuer damit zu entfachen.«
    Shan überflog seine Broschüre schweigend, bevor er sie in der Manteltasche verstaute. Es war eine Schmähschrift über die wirtschaftlichen Nachteile der Sanierung religiöser Bauten, einschließlich einiger winziger Diagramme. Er warf einen zweiten Blick auf die Überschrift: Klarheit und Wohlstand. Darunter der vollständige offizielle Name der Kampagne: Religiöse Klarheit muß auf ökonomischer Klarheit aufhauen. Den Politoffizieren war es schon immer ein Dorn im Auge gewesen, daß viele Tibeter das Wirtschaftssystem untergruben, indem sie einen unverhältnismäßig großen Anteil ihrer kargen Einkünfte für den Wiederaufbau von gompas spendeten. Beschränkte man diese Spenden auf höchstens zwei Prozent des Einkommens, folgte alsbald allgemeiner Wohlstand - das zumindest ergab sich aus einem der Diagramme.
    Shan starrte erneut in die Richtung, die der Minibus eingeschlagen hatte. Haben Sie es begriffen? hatte der seltsame Mönch mit der goldgesäumten Robe ihn gefragt. Shan begriff überhaupt nichts. Der stämmige Mönch schien ihn warnen zu wollen, indem er andeutete, Tuan und Khodrak hätten irgendein Täuschungsmanöver vor und suchten in Wahrheit nach einem Mann mit einem Fisch. Während all der Jahre in Tibet hatte Shan keinen einzigen Fisch auch nur zu Gesicht bekommen.
    Am späten Nachmittag überquerten die fünf Reiter eine flache Kuppe und sahen eine langgestreckte Ebene, deren Boden vor lauter Salzverkrustungen hell schimmerte und in deren Mitte sich ein Lager aus vier weißen und drei schwarzen Zelten erhob. Dremu wies sie an zu warten und ritt allein voraus. Sie sahen, wie aus einem der weißen Zelte ein Mann mit einem runden Hut trat, dem golok etwas entgegenrief und dann Steine aufhob und nach ihm warf. Dremu wendete sein Pferd und trabte zurück.
    »Hier sind wir richtig«, verkündete er zufrieden und bedeutete Shan, auf dem Weg zu den Jurten voranzureiten.
    Dies sei ein Salzlager, erklärte Lokesh aufgeregt, als sie inmitten einer Schar kleiner Kinder abstiegen, die zwischen den Pferden umherliefen, sich die Nasen rieben und Tenzin halfen, die Sattelgurte zu lösen. Shan nahm die Satteltasche ab und überließ sein Pferd einem lachenden Mädchen, dessen Wangen mit roter doja-Creme bestrichen waren, einem der Schutzmittel der dropkas gegen die Strahlen der Hochgebirgssonne. Als er sich ins Lager vorwagte, stieg ihm ein süßlich-scharfer Duft in die Nase, der Geruch von Yakmilch, die gebuttert wurde.
    Am Ufer waren mehrere Männer und Frauen damit beschäftigt, die harte Salzkruste mit kurzen Holzstößeln in grobe Stücke zu zerkleinern und diese dann mit einfachen Harken zusammenzuschieben. Andere packten das Salz in kleine bunte Webbeutel, die mit robusten Kordeln paarweise verschnürt wurden. Wie Satteltaschen, dachte Shan, als er eine Frau beim Zunähen der Beutel sah, allerdings zu klein für Pferde.
    Der Mann mit dem runden Hut, der Dremu angeschrien hatte, stand am Eingang eines weißen Zeltes in der Nähe der Lagermitte und winkte sie zu dem Feuer, das in einem Steinkreis zu seinen Füßen schwelte. Daneben lag ein braunweißer Mastiff. Shan und Lokesh kamen an einem finster wirkenden grauhaarigen Mann in einer zerlumpten chuba vorbei, der vor einem der anderen Zelte saß und einen schweren Stab über den Knien liegen hatte. Neben einem einzelnen angepflockten Yak hockte eine dropka mit einer Schürze in den Farben des Regenbogens und hob und senkte immer wieder einen Griff, der aus einem langen, oben offenen Holzzylinder ragte, einer dongma , einem jener Butterfässer, in denen Teeblätter, Butter und Salz für das traditionelle tibetische Getränk vermischt wurden. Ihr Haar war zu Dutzenden von Zöpfen geflochten, an deren Ende je eine Holzperle

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