Das Tibetprojekt
als
Butler
. Diese Sonderposition in der Botschaft war die Grundlage für seine Mission. Er war der Wächter für ihre Sache und wusste
als einziger in China über alles Bescheid. Nein, einer könnte es noch wissen, denn dieses Abkommen wurde als Staatsgeheimnis
in China nur von einem zum anderen Präsidenten bei der Amtsübergabe mündlich weitergegeben. Aber wahrscheinlich hatte man
in der verbotenen Stadt inzwischen auch längst vergessen, warum es den
Butler
überhaupt gab.
Die Tarnung war somit perfekt.
Aber nun lag dieses Foto vor ihm auf dem Tisch.
Ein Schock. Er musste zum ersten Mal eingreifen!
|102| Aber das war doch unmöglich. Er drehte sich innerlich im Kreis. Die Geheimhaltungsstufe war so hoch, dass damals nur die engsten
Vertrauten den Plan kannten. Und heute wusste es erst recht niemand mehr, schon gar nicht der Botschafter, wie sich gezeigt
hatte. Nein, nur eine Handvoll Eingeweihter kannte dieses Geheimnis.
Deswegen war er in China. Seit Jahrzehnten hatte seine Aufgabe und die seiner Vorgänger hier im Land nur in der Präsenz bestanden,
und im Beobachten. Für alle Fälle. Aber nie hatten sie ernsthaft geglaubt, dass ihnen jemand auch nur nahe kommen könnte.
Ihr Geheimnis lag so tief vergraben, dass weder der Militärische Abschirmdienst, noch der chinesische Geheimdienst, noch sonst
jemand es jemals gefunden hatten. Auch nicht die Israelis. Sie, die Wächter, waren eine eingeschworene Gemeinschaft und hüteten
das Geheimnis. Wenn die Öffentlichkeit es erfahren würde, wären die Folgen unvorstellbar. Sie wären am Ende. Das durfte einfach
nicht sein. Niemals hätte er gedacht, dass er wirklich würde handeln müssen.
Aber da lag dieses Foto.
Das Hakenkreuz auf der Hand des Professors.
In Tibet.
Der Kommandant hatte einen Tatort genannt, aber Stahlmann war sicher, dass der nicht stimmen konnte. Wenn, dann gab es nur
einen einzigen Ort in Tibet, an dem der Mord geschehen sein konnte.
Ihr Ort.
In ihrem Tibet.
Und wenn tatsächlich jemand bis dahin vorgedrungen sein sollte und wenn dieser Dr. Decker jetzt den gleichen Weg einschlagen sollte, dann musste er handeln.
|103| Jetzt.
Schweißperlen standen auf Stahlmanns Stirn. Dann griff er zum Telefon.
Am anderen Ende wurde abgehoben. »Ja?«, sagte eine zögernde Stimme.
»Götterdämmerung«, sagte Stahlmann. »Ich wiederhole: Götterdämmerung.«
Er wusste, was er damit auslöste, denn dieses Codewort durfte nur im absoluten Notfall benutzt werden. Und das hieß: Das große
Ziel war in Gefahr.
»Parole?«
»Hagen von Tronje.«
»Gut. Berichten Sie, was vorgefallen ist, Hagen.«
In wenigen Worten berichtete Stahlmann vom Besuch Tangs, von dem toten Professor und dem Hakenkreuz auf dessen Hand.
Es folgte ein langes schweres Schweigen.
Stahlmann hatte plötzlich eine Vermutung und eine letzte Hoffnung. Er fragte: »Warum wusste ich nichts von eurem Einsatz in
Tibet?«
»Das war keiner von uns«, kam es als Antwort. »Wir würden nie in Ihrem Gebiet aktiv werden, ohne Sie vorher zu informieren.
Und selbst wenn, dann wären wir nicht so dumm gewesen, unsere Visitenkarte zu hinterlassen.«
Stahlmann spürte, wie ihm ein kalter Schauer den Rücken hinunterlief.
Wer war es dann?
Und noch etwas war klar. Die Chinesen hatten nichts vergessen und ihn in die Irre geführt!
Aber wieso?
Die Stimme am anderen Ende meldete sich wieder: »Machen die Chinesen jetzt Jagd auf uns?«
|104| »Das glaube ich nicht. Sie benutzen uns vielleicht nur als Vorwand.« Stahlmann hatte in seinen Jahren in Peking gelernt, dass
die Chinesen Meister im strategischen Denken waren. »Vielleicht pokern sie um ganz was anderes, und wir sind nur ein Bluff.«
»Was soll das heißen?«
»Ich habe keine Erklärung dafür. Aber wir können auf keinen Fall tatenlos zuschauen. Das ist viel zu gefährlich für uns.«
»Was schlagen Sie vor?«
Stahlmann dachte nach. »Wir müssen die Hauptfigur in diesem Spiel ausschalten. Er ist kein Chinese.«
»Sie wollen denen dazwischenfunken?«
»Sie lassen uns keine andere Wahl.«
»Sie wollen sich wirklich mit dem chinesischen Geheimdienst anlegen?«
»Wenn es sein muss.«
»Das ist gefährlich.«
»Ich weiß. Aber ihnen ist ein Fehler unterlaufen. Das ist unsere Chance.«
»Ich verstehe nicht.«
»Die Chinesen kennen offenbar meine wahre Identität nicht. Das heißt, was immer sie auch vorhaben, sie sind bei ihren Planungen
davon ausgegangen, dass wir davon nichts
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