Das Tibetprojekt
erfahren. Wenn wir jetzt zuschlagen, werden sie uns gar nicht verdächtigen.«
»Ausgezeichnet.«
Dann sagte der Butler: »Werden Sie etwas unternehmen?«
Die Antwort kam prompt und mit aller Entschlossenheit: »Wir werden das prüfen, Herr Obersturmbannführer! Geben Sie mir die
Einzelheiten!«
|105| Cheng Bao, der wachhabende Offizier der Abhörabteilung in Peking stellte die Schüssel mit Kürbiskernen beiseite, die er so
gern knackte, und notierte: Gespräch von der deutschen Botschaft nach Paraguay auf gesicherter Leitung. Sprechzeit: Dreiunddreißig
Minuten.
Interessant, dachte er. Nur schade, dass man wegen dieser modernen Scrambler nie etwas über den Inhalt solcher Gespräche erfuhr.
Er würde die Meldung trotzdem beschleunigt an seinen Chef weitergeben. Er hatte seit zwei Tagen Anweisung, alle Aktivitäten
der deutschen Botschaft sofort weiterzumelden.
|106| 8
Nach dem Gespräch mit Patrick schlenderte Decker ratlos in seiner Wohnung umher. Gestern Li Mai mit ihrer fantastischen Story.
Und heute das. Dann besann er sich und ging in die Bibliothek. Die Gedanken kreisten ihm im Kopf und vor seinem geistigen
Auge stand immer wieder nur diese eine Frage:
Was wollte Hitler vom tibetischen Buddhismus?
Er war keinen Schritt weiter nach der Einführung von Patrick. Decker schaute aus dem Fenster auf die weit unter ihm liegenden
Straßen. Er sah dem Verkehr und den Menschen zu. Aber schon bald nahm er sie kaum noch wahr. Er begann in der Zeit zurückzugehen.
Hitler war einer der brutalsten Mörder der Weltgeschichte. Der tibetische Buddhismus hingegen stand für Gewaltlosigkeit und
Weisheit. Auf der einen Seite Krieg und Zerstörung, auf der anderen Frieden und Mitgefühl. Die Gegensätze könnten kaum größer
sein.
Was sollte das miteinander zu tun haben? Decker nahm sich das Dossier, das ihm Li Mai überlassen hatte und öffnete es. Seine
Blicke wanderten über die Fotos und Dokumente, alle mit dem Stempel ›Streng Geheim‹ oder dem Siegel des Bundesarchivs. Die
Akte Heinrich Harrer.
Es gab also diese ominöse Verbindung zwischen Lhasa und Berlin. Nur die Erklärung für diesen Zusammenhang |107| fehlte. Gut, gehen wir schrittweise vor, dachte Decker. Fangen wir an mit der Ausgangslage: Deutschland Ende der dreißiger
Jahre. Hitler war auf dem Weg zur unumschränkten Macht. Ein ganzes Land im Taumel. Das erklärte Ziel der Nazis: die Weltherrschaft.
Mit seinem Architekten Speer hatte Hitler sogar schon Pläne entworfen für das größte Kongressgebäude der Welt, in dem die
Repräsentanten aller unterdrückten Völker einmal im Jahr dem Führer huldigen sollten.
Die Grundlage der Macht und der Ausdehnung des Reiches war die Schlagkraft der Wehrmacht. Sie wurde ebenso gefürchtet wie
bewundert. Das galt besonders für ein Phänomen: die mehrfach besten Technologien der Welt. Es schien fast schon wie ein Mysterium,
dass Hitler die besten Geister und die besten Ingenieure der damaligen Zeit um sich versammeln konnte. Und zusammen schufen
sie eine Teufelsmaschinerie nie dagewesenen Ausmaßes.
»Nehmen Sie Ihren Porsche als Beispiel«, hatte ein Freund mal zu Decker gesagt, »und seine schräge Bemalung. Sie haben da
sehr treffend einen historischen Bezug hergestellt.«
»Mein Wagen hat nichts mit den Nazis zu tun«, erwiderte Decker empört.
»Da irren Sie. Er ist heute vielleicht eines der besten Sportautos der Welt. Aber Ferdinand Porsche, der Urvater der Firma,
war ein Protegé des Führers, Mitglied der SS und einer der leitenden Ingenieure des Dritten Reiches. Porsche war zunächst
am Aufbau von Volkswagen maßgeblich beteiligt und entwarf dort den berühmten Käfer. Er galt schon bald als Genie und wurde
ein enger Vertrauter Hitlers. Später war er Vorsitzender der Panzerkomission.«
|108| »Ich werde auf Ferrari umsteigen.«
»Das brauchen Sie nun auch wieder nicht. Ihren geliebten Rennwagen hat nämlich erst Porsches Sohn nach dem Krieg groß rausgebracht.
Insofern ist viel Abstand dazwischen.«
Neben den gefürchteten Panzern arbeitete man fieberhaft an den bahnbrechenden ersten Düsenflugzeugen und sogar an Raketen,
den berühmten V2. Ihr Konstrukteur, Wernher von Braun, später Chefentwickler der NASA, war ebenfalls ein enger Vertrauter Hitlers – und auch
Mitglied der SS. Sogar bis zur Atombombe war es nicht mehr weit. Es sah tatsächlich so aus, als hätten die Nazis einen Pakt mit dem Teufel
geschlossen, und kurz
Weitere Kostenlose Bücher