Das Tibetprojekt
gehen.«
Die beiden liefen hintereinander durch den zum Teil mit Kisten, altem Hausrat und verrosteten Drahteseln verstellten Pfad
in Richtung auf die belebten, breiteren Straßen. Bevor sie dort ankamen, verabschiedete sich Stahlmann im Schatten der überhängenden
Dächer mit den Worten: »Sie wissen, was Sie zu tun haben.« Er unterdrückte seinen Impuls, die rechte Hand zu heben. »Ohne
Gruß. Viel Erfolg, Kamerad.«
Dann trennten sich ihre Wege.
Decker bekam Hunger. Ob Pekingente hier besser schmeckte als zu Hause? Er überlegte, ob er seine Gesundheit aufs Spiel setzte,
wenn er hier irgendwo einkehrte. Es war sicher origineller, sich ein ruhiges Plätzchen für Einheimische zu suchen, etwas abseits
in den Seitengassen. Das Problem mit dem Geld allerdings blieb. Ob er mit seiner Kreditkarte hier eine Chance hatte? Er schlenderte
weiter und suchte nach einem vielversprechenden Hinweis.
Göritz suchte nach einem Taxi, das ihn zurück zu seinem Hotel bringen würde. Da er sich nicht auskannte, blieb er zunächst
einfach auf dieser Straße. So konnte er sich |186| wenigstens nicht verlaufen. Die Straßenschilder konnte ja kein Mensch lesen. Seine Augen wanderten über die reichhaltigen
Auslagen. Die Sache mit diesem Decker war wirklich frustrierend: Er kannte sein Ziel und wahrscheinlich auch dessen Aufenthaltsort,
aber er kam nicht ran. Es war unerträglich.
Göritz überlegte immer noch, ob es nicht vielleicht doch eine Möglichkeit gab, Decker gleich hier auf dem Flughafen fertigzumachen.
Vielleicht ein gezielter Schuss aus größter Distanz? Der Weltrekord für einen tödlichen Treffer unter Gefechtsbedingungen
lag immerhin bei 2.430 Metern. Oder panzerbrechende Geschosse. Irgendetwas musste doch gehen.
Er hob den Blick und schaute über die vielen schwarzhaarigen Köpfe die Straße hinunter. Er fiel schon durch seine Größe sehr
auf, aber die blonden Haare machten ihn vollends zum Leuchtturm. Wie seltsam, dachte er, wenn eine ganze Nation nur eine Haarfarbe
hat. Kein Rot. Kein Braun. Kein Blond. Und andere Europäer gab es hier auch nicht.
Doch! Da hinten war einer. Genauso ein blonder Typ wie er selbst. Göritz Blicke blieben plötzlich haften. Er brauchte ein
paar Sekunden, um zu verarbeiten, was er da sah. Das war doch nicht möglich!
Dann dachte er an das Foto. Hektisch fummelte er das Bild aus der Tasche und blickte verstohlen darauf. Sein Jagdinstinkt
wurde wach. Er gab sich Mühe, wie ein kartenlesender Tourist zu wirken, während er das Adrenalin und die Lust am Töten in
sich aufsteigen spürte. Dann schaute er wieder die Straße runter. Die Sonnenbrille hatte ihn irritiert.
Aber es bestand kein Zweifel. Das da vor ihm war Decker!
|187| Wie kommt der denn plötzlich hierher?
Göritz’ Gedanken rasten. Das war die Gelegenheit!
Er wollte losrennen, aber die Menge hinderte ihn. So wühlte er sich heftig schiebend und stoßend voran auf sein Ziel zu, das
ihn nicht kommen sah.
Decker glaubte einen Hinweis auf ein Restaurant gefunden zu haben und schwenkte in eine kleinere Gasse ein. Dann hielt er
inne. Die Straße war menschenleer, und man sah nicht, wohin sie führte. Teilweise lag sie im Schatten der Häuser und Bäume.
Das zog den Abenteurer in ihm natürlich unwiderstehlich an.
Göritz sah, wie Decker in die Gasse einbog, aus der Stahlmann und er gerade gekommen waren. Sehr gut. Da sieht uns wenigstens
niemand. Er verlangsamte seinen Schritt, um nicht unnötig aufzufallen, und ging siegessicher weiter. Decker war in eine Sackgasse
gelaufen. Er würde nicht mehr lange zu leben haben.
Kurz bevor der Killer die Abzweigung erreichte, entwischte ihm ein lautes: »Mist.« Er sah, wie ein Chinese in traditioneller
Kleidung ebenfalls in diese Gasse einbog. Warum musste ihm der blöde Kerl in den Weg kommen?
Andererseits könnte er ja dort irgendwo wohnen und würde bald in einer der vielen Türen verschwinden. Kein Grund zur Beunruhigung.
Göritz bereitete sich innerlich auf den Einsatz vor und tastete kurz nach seinem Schulterhalfter. Er ging niemals ohne seine
zuverlässige USP Tactical aus. Die Pistole hatte die härtesten Belastungstests der Welt bestanden und gehörte zur Standardausrüstung
der SEALS. Stolz dachte er an die deutsche Waffenbaukunst.
Tja, das liegt uns eben im Blut
. Dann bog er vorsichtig in die Gasse ein.
|188| Dabei hielt er sich dicht an der Wand und suchte die Deckung. Die beiden vor ihm sollten
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