Das Todeskreuz
...«
»Kein aber. Du hättest mich ruhig wecken dürfen, statt dich
wie ein Dieb davonzuschleichen. Ich hätte sogar erwartet, dass
du mich weckst«, sagte sie mit gespielt vorwurfsvoller Miene,
ohne sich von der Stelle zu rühren.
Er ging zu ihr und streichelte ihr übers Gesicht. »He, ich muss
selbst erst herausfinden, was du magst und was nicht.«
»Für die Zukunft weißt du's. Und die andern Sachen verrat ich
dir auch noch, oder du findest meine Macken selber heraus.
Fährst du nach Hause?«
»Hm, meine Töchter haben mich seit zwei Tagen nicht zu Gesicht
bekommen. Die sind nun mal noch da.«
»Das weiß ich doch. Umarm mich wenigstens einmal, bevor
du gehst.«
Es war ein für ihn seltsames Gefühl, das er nicht beschreiben
konnte. Er hatte die Nacht mit ihr verbracht, und jetzt am frühen
Morgen verabschiedete er sich mit einer langen Umarmung von ihr.
»Wir sehen uns nachher«, sagte sie. »Aber eins noch für den
Weg - es war die schönste Nacht, die ich je erlebt habe, und das
nach fünfunddreißig Jahren.«
»Das freut mich«, erwiderte er nur verlegen, betrachtete sie
noch einmal, wie sie dastand, mit zerzaustem Haar, und so, wie
sie jetzt aussah, war sie eigentlich noch hübscher als sonst.
»Das freut dich? He, das klingt, als ob es dir nicht so sehr gefallen
hätte.«
»Natürlich hat es das, ich bin nur etwas durcheinander. Ich bin
eben kein Aufreißer und ... Na ja, ich bin auch nicht unbedingt
der große Frauenversteher.«
»Du und kein Frauenversteher? Hallo, du hast sehr wohl verstanden,
was ich gebraucht habe. Und was den Aufreißer betrifft,
ich hab dich doch quasi genötigt.«
»Soll ich jetzt Anzeige wegen Nötigung erstatten?«, fragte er
grinsend. »Und du vertrittst die Anklage, was?«
»Idiot. Aber so gefällst du mir, das ist genau die Art, die ich an dir
so mag. Weißt du, wenn du immer in mein Büro gestürmt bist, ohne
anzuklopfen, das hat mir imponiert, auch wenn es für dich vielleicht
anders ausgesehen hat. Erinnerst du dich noch an das erste Mal?«
Brandt schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Aber ich. Du warst ganz schön sauer auf mich und hast mich
ziemlich angeblafft, weil ich mich mal wieder in Dinge eingemischt
habe, die mich deiner Meinung nach eigentlich nichts angingen,
obwohl sie mich doch was angingen. Deinen Gesichtsausdruck
werde ich nie vergessen, als ob du mir am liebsten an
die Gurgel gegangen wärst. Du hättest mir bestimmt gerne öfter
mal den Hals umgedreht, oder?«
»Ich verabscheue Gewalt in jeder Form.«
»Das weiß ich doch. Aber hast du dich nie gefragt, warum ich
immer nur dich sprechen wollte und nie einen deiner Kollegen?«
Sie sah ihn wieder mit diesem Blick an, der bis in sein tiefstes
Inneres ging.
Mit einem Mal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Ja,
es stimmt, dachte er, sie hat immer nur mich zu sich zitiert, oder
sie kam und wollte mit mir unter vier Augen sprechen. Dass da
mehr dahintersteckte, das hab ich nicht gesehen oder nicht sehen
wollen.
»Nein. Ich hab immer gedacht ... Keine Ahnung, was ich gedacht
habe.«
»Als ich dann erfahren habe, dass du mit Andrea zusammen
bist... Das war nicht schön, das war sogar ziemlich schrecklich.
Ich wollte dich zumindest näher kennenlernen, doch ich bin so
wahnsinnig schüchtern.«
»Das kam mir heute Nacht aber gar nicht so vor«, entgegnete
er mit schelmischem Grinsen.
»Da brauchte ich es ja auch nicht mehr zu sein. Und das mit
Andrea ist wirklich vorbei?«
»Ich lüge nicht, und in solchen Dingen schon gar nicht. Es ist
vorbei, aber darüber reden wir jetzt nicht. Apropos schüchtern,
da haben wir beide wohl was gemeinsam. Ich muss jetzt aber los,
ich will Sarah und Michelle wenigstens noch Tschüs sagen, bevor
sie in die Schule gehen.«
»Und es macht dir wirklich nichts aus, dass ich größer bin?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Einfach so. Es soll Männer geben, die nicht gerne aufschauen.«
»Was sind schon die paar Zentimeter? Nein, ich stehe ehrlich
gesagt auf große Frauen.«
»Noch was, bevor du gehst - du brauchst keine Angst zu haben,
ich werde nicht wie eine Klette an dir hängen.«
»Ich habe keine Angst.«
»Ich will aber auch nicht, dass du mit mir spielst, das würde
ich nicht verkraften. Sei immer ehrlich, ich bin's auch.«
»Ich bin kein Spieler, und das mit der Ehrlichkeit haben wir ja
wohl schon durch. Ciao und bis nachher.«
Sie begleitete ihn zur Tür und sagte: »Ich nehme an, du wirst
heute
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