Das Todeswrack
einfach, wie ein Taxi heranzuwinken, weißt du? Ich werde sehen, was ich tun kann.« Er legte auf.
Austin lachte leise. Sein Vater wusste stets ganz genau, wo jedes seiner Schiffe sich befand und womit es derzeit beschäftigt war, und zwar bis hinunter zum kleinsten Ruderboot. Dad wollte ihn einfach nur ein wenig zappeln lassen. Austin war nicht überrascht, dass einige Minuten später das Telefon klingelte.
»Du hast Glück«, sagte die barsche Stimme. »Ich habe hier einen alten Leichter für dich. Einer unserer Bergungskähne hat vor Sandy Hook, New Jersey, einen Job für die Marine erledigt.
Keines eurer großen Forschungsschiffe, aber es wird schon ausreichen. Es wartet ab morgen im Hafen von Nantucket auf dich.«
»Danke, Paps. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
»Ich musste den Kapitän ganz schön unter Druck setzen, und ich werde bei der ganzen Angelegenheit draufzahlen«, sagte er, und sein Tonfall wurde sanfter, »aber ich schätze, das ist es wert, um meinen Sohn dazu zu bewegen, mich noch einmal an meine m Lebensabend hier draußen zu besuchen.«
Was für ein Schauspieler!, dachte Austin. Sein Vater konnte Bäume ausreißen. Auf das Wort des alten Austin war Verlass, und so traf das Boot am nächsten Morgen in Nantucket ein. Die
Monkfish
war wohl kaum ein »alter Leichter«. Es handelte sich vielmehr um ein mittelgroßes, hochmodernes Bergungsschiff, das noch nicht einmal zwei Jahre alt war. Kapitän John McGinty, ein raubeiniger, rotgesichtiger Ire aus dem Süden von Boston, stellte sich als echte Bereicherung heraus. Der Kapitän war einige Jahre zuvor zur
Andrea Doria
hinabgetaucht und freute sich, erneut vor Ort zu sein.
Austin nahm gerade die Kassette aus der Videokamera des U-Boots, als McGinty auf ihn zueilte. »Los, nun machen Sie’s nicht so spannend«, sagte er mit hörbarer Aufregung. »Wie sieht das alte Mädchen aus?«
»Man merkt ihr das Alter an, aber schauen Sie doch selbst.«
Austin gab ihm die Kassette. Der Kapitän musterte das Minitauchboot und kicherte. »Das ist aber ein ziemlich heißes Teil«, sagte er und ging dann voran in sein Quartier. Er versorgte Austin und Zavala mit weichen Sitzgelegenheiten und harten Drinks. Dann steckte er die Videokassette in seinen Rekorder. McGinty saß ungewohnt schweigsam da und sog jedes Detail in sich auf, als der majestätische Rumpf mit der Patina aus Seeanemonen über den Fernsehschirm glitt. Nach dem Ende der Aufnahme spulte er das Band zurück.
»Ihr Jungs habt gute Arbeit geleistet. Sie sieht noch fast genauso aus wie 1987, als ich zum letzten Mal bei ihr unten gewesen bin. Nur ein paar Schleppnetze sind hinzugekommen.
Und es ist, wie Sie gesagt haben«, seufzte er, »man sieht die Jahre, die sie auf dem Buckel hat. Das wirkliche Problem sind aber die Dinge, die man
nicht
von außen sehen kann. Ich habe gehört, die Spanten sind ziemlich verrottet. Nicht mehr lange, und das ganze Ding bricht in sich zusammen.«
»Könnten Sie uns vielleicht etwas genauer schildern, was uns da unten erwartet?«
»Ich werde mich bemühen. Noch einen Schluck?« Er wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern goss jedem einen doppelten Jack Daniel’s ein und fügte als Alibi ein paar Eiswürfel hinzu. Er trank einen Schluck und starrte auf den ausgeschalteten Fernsehapparat. »Eines darf man nicht vergessen. Die
Doria
sieht vielleicht hübsch aus, trotz all diesem Mist auf ihrem Rumpf, aber sie ist ein Killer. Man nennt sie nicht umsonst den Mount Everest der Taucher. Zwar sind ihr längst nicht so viele Männer zum Opfer gefallen wie dem Everest – als ich das letzte Mal nachgezählt habe, waren es ungefähr zehn –, aber die Jungs, die zur
Doria
tauchen, sind auf den gleichen Adrenalinstoß der Gefahr versessen, wie ihn auch Bergsteiger erleben.«
»Jedes Wrack hat seinen eigenen Charakter«, sagte Austin.»Was ist das größte Risiko auf diesem Schiff?«
»Tja, sie hat jede Menge Asse im Ärmel. Zunächst mal wäre da die Tiefe. Zwei Stunden Dekompressionszeit. Man braucht einen geschlossenen Anzug wegen der Kälte. Haie kommen, um die gefangenen Fische zu fressen. Meistens Blauhaie. Die dürften eigentlich nicht gefährlich sein, aber wenn du an der Steigleine hängst und dekomprimierst, hoffst du inständig, irgendein kurzsichtiger Hai möge dich jetzt bitte nicht für einen fetten Schellfisch halten.«
»Als ich mit dem Tauchen anfing, hat mein Vater zu mir gesagt, ich solle daran denken, dass wir uns im Wasser nicht länger am
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