Das Tor ins Nichts
konnte. Im Laufen blickte ich über die Schulter zurück.
Und was ich sah, ließ mich meine Anstrengungen verdoppeln.
Ein schwarzer qualliger Riesenkörper zuckte aus der Tiefe heraus, landete mit einem widerlichen Platschen auf dem Boden und begann ungeschickt hinter mir herzukriechen, wobei er sich unablässig aufblähte und wieder zusammenzog.
Kleine bösartige Augen starrten mich an, und die zahllosen Arme der Kreatur peitschten die Wände. Ich rannte noch schneller, aber das grüne Lodern des Tores schien meilenweit entfernt zu sein. Ich rannte wie selten zuvor im Leben, erreichte den pulsierenden Schacht mit letzter Kraft, warf mich hindurch und war in Sicherheit. Um mich herum war wieder die beruhigende Normalität meines Arbeitszimmers, als ich mich aufrichtete.
Aber für wie lange noch? Ich drehte mich herum, versuchte automatisch, die Tür der Standuhr zuzuwerfen, und erinnerte mich erst in diesem Moment, daß sie sich nicht schließen ließ.
Sie blieb einen Spaltbreit geöffnet, nicht viel, aber weit genug, den dünnen peitschenden Tentakeln der Kreatur aus dem Tunnel Durchlaß zu gewähren!
Panik drohte mich zu übermannen. Ich warf mich mit aller Kraft gegen das Holz, wieder und wieder und immer wieder.
Und dann prallte etwas von innen gegen die Tür und ließ die ganze Uhr erbeben! Ein düsteres, wütendes Zischen und Pfeifen erscholl, und plötzlich ringelten sich drei, vier, fünf haardünne schwarze Fäden durch den Türspalt und tasteten suchend über das Uhrgehäuse. Ich schrie vor Schreck und warf mich noch einmal gegen die Tür, gleichzeitig schlug ich mit dem Besenstiel nach den Monsterarmen.
Die Tentakel traf ich nicht, aber das Ende des Stiels prallte klirrend gegen das Zifferblatt der Uhr. Und im gleichen Moment erlosch das rötliche Wabern des Tores, der unerklärliche Widerstand der Tür gab nach, und die suchenden Nervenfäden des Ungeheuers fielen abgetrennt zu Boden. Die Tür rastete mit einem fühlbaren Ruck ein und blieb geschlossen.
Mit einem halb ungläubigen, halb erleichterten Seufzer taumelte ich von der Uhr fort, ließ mich auf einen Stuhl sinken und starrte die Tür gebannt an. Aber nichts rührte sich, und auch das schreckliche Kratzen und Hecheln war verstummt.
Ich war gerettet.
Es verging fast eine Viertelstunde, ehe ich meinen in Aufruhr geratenen Verstand wieder so weit unter Kontrolle hatte, mir zusammenzureimen, was geschehen war. Dabei war es im Grunde ganz einfach: Wie die Kratzer auf dem Messing bewiesen, hatte ich mit dem Besenstiel nicht das große Zifferblatt berührt, sondern eines der drei kleineren. Und dabei hatte ich, ohne es zu merken, einen der Zeiger verschoben.
Nun, ich hatte mich ja schon immer gefragt, wozu zum Teufel die drei Zeigerpaare überhaupt da sein mochten jetzt wußte ich es. Und die Erklärung war so simpel, daß ich mich verblüfft fragte, wieso ich nicht schon längst von selbst darauf gekommen war. Sie waren eine Art Kontrollinstrumente, mit denen man das Tor aktivierte. Vermutlich konnte man mit ihnen auch das Ziel bestimmen, zu dem es einen bringen sollte.
Es war ein Zufall gewesen, der mir das Leben gerettet hatte.
Plötzlich dachte ich an Merlin, und ein tiefes Gefühl der Trauer überkam mich. Möglicherweise wäre es mir sogar gelungen, das Tor mittels der Zeiger nochmals zu öffnen und auch den Abwasserkanal wiederzufinden, aber in diesem Moment hätte ich mir wohl eher beide Hände abhacken lassen, ehe ich es auch nur versuchte. Ich konnte bloß hoffen, daß es Merlin gelungen war, wenigstens mit dem Leben davonzukommen. Irgendwie hatte der Bursche es ja immer verstanden, auf sich aufzupassen, jedenfalls weit besser als sein Herrchen.
Nachdem sich das Zittern meiner Hände und mein hämmernder Herzschlag wieder einigermaßen beruhigt hatten, stand ich auf, spähte vorsichtig auf den Korridor hinaus und überzeugte mich davon, daß niemand in der Nähe war. Dann schlich ich auf Zehenspitzen den Gang entlang und verschwand im Bad.
Ich duschte lange und ausgiebig, verarztete die Brandwunden auf meinem Handrücken und dem rechten Bein mit Salbe und Heftpflaster, warf meine besudelten Kleider kurzerhand in die Mülltonne und marschierte dann, nur mit einem Handtuch um die Hüften bekleidet, in mein Zimmer, um mich umzuziehen.
Mein Erlebnis auf der anderen Seite der Uhr blieb nicht die einzige Überraschung des Tages. Die zweite Neuigkeit kam in Form eines Telegrammes, das an der Haustür abgegeben wurde, während ich
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