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Das Tor ins Nichts

Titel: Das Tor ins Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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stürmte ich die Treppe hinauf, erreichte den Absatz und lief weiter, ohne mich auch nur umzusehen. Die Treppe endete auf einem düsteren, scheinbar endlos langen Korridor mit zahlreichen Türen auf beiden Seiten. Ich raste den Gang entlang und polterte die nächste Treppe hinauf. Als ich das dritte und letzte Stockwerk erreicht hatte, betrug mein Vorsprung gute zwanzig Yards. Ich lief weiter, bis ich am Ende des Korridors angelangt war, sah unschlüssig von einer Tür zur anderen und wandte mich schließlich dem Fenster zu. Eisenzahn kam schnell näher. Das ganze Haus schien unter seinen stampfenden Schritten zu erzittern. Er hatte viel von seiner Schnelligkeit verloren.
    Offensichtlich war ihm die Kollision mit der Eisenbahnbrücke doch nicht so gut bekommen. Er lief torkelnd wie ein Betrunkener und zog das rechte Bein scheppernd nach. Aus seinem Inneren drang ein Geräusch, das an das Wimmern eines überlasteten Motors erinnerte. Aber er war immer noch fast so schnell wie ich.
    Der Anblick zerstreute auch noch den letzten Rest von Zweifel. Ich schlug das Fenster ein, beugte mich hinaus und sah einen drei Stockwerke tiefen, nachtschwarzen Abgrund unter mir. Aber direkt neben dem Fenster führte ein verbeultes Regenrohr entlang, und die Mauer schien mir alt und rissig genug, um meinen Fingern und Zehen Halt zu bieten. Mit einer entschlossenen Bewegung schwang ich mich nach draußen, klammerte mich mit einer Hand und einem Bein an der Regenrinne fest und tastete mit der Rechten nach oben. Unter meinen Fingern spürte ich feuchten Stein und Mörtel, der unter meinem Griff zerbröckelte. Zu allem Überfluß hatte es auch noch zu regnen begonnen, nicht sehr heftig, aber doch genug, um die Wand mit einem glitschigen Schmierfilm zu überziehen.
    Langsam und fast krampfhaft darum bemüht, nicht in die Tiefe zu sehen begann ich an dem Regenrohr nach oben zu klettern. Die Angst gab mir zusätzliche Kraft, und ich brauchte kaum eine Minute, um den überhängenden Rand des flachen Ziegeldaches zu erreichen. Hastig sah ich an meinen Beinen vorbei in die Tiefe. Das zerborstene Fenster schien unendlich weit unter mir zu liegen, und die Straße darunter war in den Schatten der Nacht verschwunden. Von Eisenzahn war noch keine Spur zu sehen. Aber es konnte nur mehr Sekunden dauern, bis er das Fenster erreichte.
    Ich sah nach oben. Die Dachkante ragte einen guten Fuß über die Mauer hinaus, so daß mir nichts anderes übrigblieb, als vorsichtig zuerst die linke, dann auch die rechte Hand von meinem Halt zu lösen, nach der durchhängenden Regentraufe zu greifen und darauf zu hoffen, daß sie mich tragen würde.
    Die altersschwache Konstruktion bog sich bedrohlich ächzend unter meinem Gewicht durch. Ich angelte mit den Füßen nach der Regenrinne, glitt aber an dem feuchten Eisen ab, und der Himmel über mir kippte zur Seite. Dann lief ein spürbarer Ruck durch das rostzerfressene Metall und mit einem langgedehnten Quietschen riß meine improvisierte Leiter vollends aus der Wand.
    Mit dem Mut der Verzweiflung warf ich mich vor, bekam die Dachkante zu fassen und klammerte mich mit aller Macht daran fest. Die regenfeuchten Ziegel boten meinen Händen kaum Halt, aber ich krallte mich mit allen zehn Fingern fest.
    Im gleichen Moment stürzte das ganze Regenrohr unter mir polternd in die Tiefe. Drei, vier Sekunden lang hing ich mit hilflos pendelnden Beinen an der Dachkante, und ich fühlte, wie meine Finger Millimeter für Millimeter an dem feuchten Schiefer abglitten. Verzweifelt zog ich die Beine an, machte einen gewagten Klimmzug und griff blitzschnell mit der einen Hand nach. Aber gleich begann ich wieder, unaufhaltsam auf dem glitschigen Dach abzurutschen. Der Regen wurde stärker.
    In heller Panik strampelte ich mit den Beinen, streifte die Schuhe ab und schrammte mit den Füßen über die Hauswand.
    Meine nackten Zehen stemmten sich in einen Mauerriß, und für einen ganz kurzen Moment konnte ich mein Körpergewicht verlagern und nach einem festeren Halt suchen.
    Ich wollte mich eben mit einem letzten, kraftvollen Schwung endgültig auf das Dach retten, da erschien ein gewaltiger Schatten vor dem regenverhangenen Nachthimmel, und ein nackter Fuß, der nur zur Hälfte aus Fleisch und Haut und zur anderen aus schimmerndem Eisen bestand, senkte sich auf meine linke Hand herab und trat so wuchtig zu, daß ich mit einem Schmerzensschrei losließ und erneut abwärts rutschte.
    Im letzten Moment konnte ich meinen Sturz bremsen aber nur,

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