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Das Tor ins Nichts

Titel: Das Tor ins Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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um abermals mit hilflos pendelnden Beinen über dem Abgrund zu hängen. Und ich spürte, wie die Kraft in meiner rechten Hand von Sekunde zu Sekunde nachließ.
    Eisenzahn starrte mich kalt an. Er beugte sich vor, und obwohl ich genau wußte, daß er nichts als ein Automat und zu solcherlei Regungen gar nicht fähig war, glaubte ich für einen Moment ein schadenfrohes Glitzern in seinem verbliebenen Auge zu sehen. Vielleicht verstand er auch einfach nur nicht, wieso ich mir die Mühe gemacht hatte, an der Wand hinaufzuklettern statt die Treppe zu nehmen wie er.
    Aber ob er es nun verstand oder nicht das letzte, was ich sah, war sein hämisches Grinsen, mit dem er mir auf die andere Hand trat. Dann kippten der Himmel und das Dach in einem grotesken Salto nach hinten weg, und ich fiel wie ein Stein in die Tiefe.

    Der erste halbwegs klare Gedanke war Erstaunen. Verwunderung darüber, daß ich noch lebte. Dann Schmerz. Ein Schmerz, der nicht genau zu lokalisieren war, sondern überall in meinem Körper wühlte, so als zupfe jemand genüßlich an jedem einzelnen Nerv, den ich hatte. Dann begann sich das Dunkel zu lichten, das mein Bewußtsein umgab; ich hörte Geräusche, spürte die Kälte des Regens auf der Haut und schließlich gerann der Schmerz zu einem gräßlichen Brennen und Stechen in meinem Fußknöchel und einem kaum weniger peinigenden Pochen in meinem Rücken. Jemand schlug mir ins Gesicht, nicht sehr fest, aber beständig, und eine Stimme rief immer wieder meinen Namen. Ich öffnete die Augen.
    Ich lag auf dem Rücken inmitten eines gewaltigen Trümmerhaufens aus Holz, aufgeweichter Pappe und einer widerlich weichen, grünlich gelben Masse, die durchdringend nach faulem Obst stank. Eine Hand hatte mich am Kragen gepackt und halbwegs in die Höhe gezerrt, und eine zweite Hand klatschte immer wieder abwechselnd auf meine rechte und meine linke Wange. Darüber, noch immer halb verzerrt hinter treibenden grauen Schleiern, starrte mich Frans’ erschrockenes Gesicht an.
    Er schlug noch drei, viermal zu, dann schien er endgültig davon überzeugt zu sein, daß ich wieder bei Bewußtsein war, denn er hörte endlich auf, auf mich einzuprügeln, und setzte mich statt dessen wie eine willenlose Puppe aufrecht hin.
    Sofort sackte ich wieder zusammen, aber Frans zerrte mich abermals hoch und lehnte mich mit dem Rücken gegen den Stapel aus auseinandergeplatzten Abfallkartons, die meinen tödlichen Sturz aufgefangen hatten. »Verstehst du mich?«
    fragte er.
    Ich nickte, und auf seinem Gesicht machte sich ein erster Schimmer vorsichtiger Erleichterung breit. »Alles in Ordnung mit dir?« fragte er noch einmal.
    »Ja«, stöhnte ich. »Aber du kannst aufhören auf mich einzuschlagen. Ich habe für heute genug Prügel bezogen.«
    Frans atmete hörbar auf, ließ meine Schulter los und griff rasch wieder zu, als ich neuerlich zur Seite zu kippen drohte.
    Die Schmerzen ließen allmählich nach, aber in meinem Kopf drehte sich alles, und ich fühlte mich schwach wie ein Neugeborenes.
    »Was ist passiert?« fragte er. »Wo kommst du her, und wieso nimmst du nicht die Treppe, statt aus dem Fenster zu springen?«
    Ich stöhnte auf. »Bitte, Frans mir ist nicht nach Scherzen zumute. Wo warst du überhaupt?«
    Dreistmeer wurde übergangslos ernst. »Ich bin nur kurz weggegangen, um mir Zigaretten zu holen«, antwortete er.
    »Was war los?«
    Ich dachte einen Moment angestrengt über diese Frage nach, ohne zu einer befriedigenden Antwort zu gelangen. Dann machte etwas in meinem Kopf klick und ich fuhr mit einem leisen Schreckensruf hoch. Sofort wurde der Schwindel hinter meiner Stirn stärker. Ich griff haltsuchend nach Frans’ Schulter, verfehlte sie und fiel mit dem Gesicht voran ein zweites Mal in den Abfallhaufen. Frans half mir mit einem nachsichtigen Lächeln auf.

    »Wie lange … liege ich schon hier?« fragte ich, kaum daß ich wieder zu Atem gekommen war.
    »Nur ein paar Augenblicke«, antwortete Frans. »Ich hörte Lärm, und als ich um die Ecke bog, konnte ich sehen, wie du vom Dach gestürzt bist.« Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte schon, ich müßte dich vom Straßenpflaster kratzen, aber du hast mehr Glück als Verstand gehabt.« Er wies mit einer neuerlichen Kopfbewegung auf den zermalmten Haufen aus aufgeweichten Pappkartons und Kisten, der meinen Sturz gebremst hatte. »Ohne das Zeug da wärst du jetzt tot«, fügte er ernsthaft hinzu.
    Ich starrte ihn einen Moment lang an, versuchte mich noch einmal

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