Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
die Form seiner Glocken bereits seinen Vorstellungen angepasst, doch das Ergebnis hatte ihn noch nicht gänzlich zufriedengestellt. Je öfter sie darüber sprachen, wie sie eines Tages an ihr Ziel gelangen konnten, desto mehr bestärkte Catlin ihn darin, etwas zu wagen. Zeit, Geld und ihr guter Ruf waren in Gefahr, wenn sie Fehler machten. Darum zögerte John, bei den Auftragsglocken allzu große Veränderungen auf einmal vorzunehmen, und entschied sich für kleine Schritte, die ihn zwar langsamer voranbrachten, dafür aber keinen der Aufträge gefährdeten. Fast jede Glocke fiel dadurch besser aus als die vorige und mehrte so den Ruhm und Erfolg der Gießerei. Manchmal gaben sich John und Catlin schwärmerischen Träumereien von einer ganz besonderen Glocke hin, die eine ungewöhnlich kühne Form hätte und nicht nur einen satten, tiefen Schlagton von sich gäbe, sondern eine ganze Harmonie von Tönen, so schön wie keine Glocke je zuvor. Es war, als könnten sie in ihren Köpfen die gleichen Töne hören, und plötzlich waren sie sich so nahe wie nie zuvor.
John fiel auf, dass Flint es offenbar nur schwer ertrug, wenn die Eheleute so viel Zeit miteinander verbrachten und Catlin den Glocken mehr Aufmerksamkeit schenkte als ihm, dem heimlichen Geliebten. Gerade darum aber waren dem Meister jene Augenblicke besonders wertvoll. Catlin und Aedwyna bedeuteten ihm mehr, als er offen eingestanden hätte, darum verstand er nicht, dass sich der Geselle so wenig um die eigene Tochter kümmerte. Wenn sie schrie, sah er weder auf noch wandte er sich nach ihr um. Nie machte er Anstalten, sie zu trösten. Im Gegenteil, zumeist schien er von ihrem Weinen gestört, rollte mit den Augen und seufzte vernehmlich. Ob er am Ende gar nicht wusste, dass er der Vater des Kindes war, und den Meister für Aedwynas Erzeuger hielt? Bei dem Gedanken daran spielte ein zufriedenes Lächeln um Johns Lippen. Möglicherweise war Gott der Herr eben doch gerecht.
Eines Abends Ende Oktober klopfte es zu nachtschlafender Zeit heftig an der Werkstatttür. Es war Milo, Richards Knappe, mit einer Nachricht für Catlin.
»Euer Vater, Meisterin …«, stieß er aufgeregt hervor. »Mein Herr lässt Euch ausrichten, dass es ihm schlecht geht, sehr schlecht. Sir Richard schickt mich, damit ich Euch zu ihm bringe. Er selbst muss dem König nach Norden folgen.«
»Mein Vater?« Catlin fröstelte. Sie zog das Wolltuch enger, das sie sich um die Schultern geworfen hatte, und machte eine einladende Geste. Milo nickte dankbar und stampfte mit den Füßen auf, um den Straßendreck so gut wie möglich von den Stiefeln zu entfernen, denn der Regen hatte die Gasse in einen matschigen Pfuhl verwandelt. »Verzeiht!«, murmelte er, als Catlin die Tür hinter ihm schloss. Das Wasser tropfte ihm vom Mantel und bildete mit dem Schlamm von den Stiefeln einen bräunlichen See auf dem Boden.
Catlin beachtete den Schmutz nicht, sah sich nur um und lief in der Werkstatt hin und her. »Ich muss mich rasch anziehen, das Notwendigste zusammenpacken und meinen Mantel mitnehmen«, murmelte sie völlig aufgelöst. »Hoffentlich kommen wir noch rechtzeitig!«
»Lasst Euch nur Zeit, Meisterin! Wir können ohnehin erst bei Tagesanbruch losreiten, die Stadttore sind bereits geschlossen. Ich war unter den Letzten, die noch eingelassen wurden.« Milo legte ihr die Hand auf den Arm. »Sorgt Euch nicht! Auch wenn mein Herr Saint Edmundsbury gewiss schon wieder verlassen hat, um dem König zu folgen, so braucht Ihr Euch nicht zu sorgen. Alan wird sich um Euren Vater kümmern, als wäre er sein eigener.«
Catlin wunderte sich, woher Milo das wusste. War er häufig genug mit Richard in der Schmiede gewesen, um Alan so gut zu kennen und sich ein solches Urteil erlauben zu können? Oder hatte Richard ihm aufgetragen, ihr das zu sagen?
»Dann sollten wir wohl schlafen gehen, damit wir morgen zeitig aufbrechen können«, schlug Catlin vor und blickte sich suchend um. »Ich habe sicher noch irgendwo eine Decke …«
»Macht Euch keine Umstände, Meisterin! Ich habe immer eine Pferdedecke dabei und weiß Gott schon schlechter geschlafen als in einer warmen, trockenen Werkstatt.« Milo lächelte beschwichtigend.
Catlin nickte dankbar, wünschte ihm, wohl zu ruhen, und stieg die Treppen zur Schlafkammer hinauf. Eigentlich hätte Flint die Tür öffnen müssen, als es geklopft hatte, denn John war wieder einmal unterwegs. Früher hätte Flint die Gelegenheit genutzt und sich in ihre Kammer
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