Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
hatte ihn beruhigt und ihm versprochen, für sie zu sorgen wie ein Sohn. Alan senkte den Blick und scharrte mit dem Fuß über den Boden. Seit er in Henrys Schmiede arbeitete, hatte er seine Mutter nicht mehr gesehen. Er wusste nicht einmal, ob sie noch lebte. Immerhin war er sicher, dass sie im Alter nicht allein war. Sie wurde von seinem älteren Bruder, dessen Frau und ihren Kindern versorgt und brauchte seine Hilfe nicht. Elfreda aber hatte niemanden mehr. Gewiss hätte sich auch Catlin um sie gekümmert, doch Elfreda hätte niemals zugestimmt, die Schmiede zu verlassen und ihre Stieftochter nach London zu begleiten. Alan dachte an das Geständnis, das Catlin ihm gemacht hatte. An ihren Betrug mit dem untergeschobenen Kind, an ihren Geliebten. Bei dem Gedanken an den Gesellen, von dem sie die kleine Tochter hatte, krampfte sich sein Herz zusammen. Was hatte er nur getan, dass der Herr ihn so hart bestrafte? Warum hatte er ihm Catlin weggenommen, noch bevor sie ihm gehört hatte? Warum hatte sie nicht bleiben und dem Vater gehorchen können, so wie es sich ziemte? Wider Willen musste er schmunzeln. Wenn Catlin gehorcht und ihren Traum aufgegeben hätte, wäre sie nicht Catlin gewesen, sondern nur eine ganz gewöhnliche junge Frau. Gerade ihre Zielstrebigkeit, ihr Ehrgeiz und die Leidenschaft für ihren Beruf waren es schließlich, die ihn so in ihren Bann geschlagen hatten. Gewiss, alles wäre einfacher gewesen, hätte sie diese Begeisterung nicht für das Glockengießen, sondern für das Schmieden empfunden, so wie einst ihre Großmutter, doch dem war nicht so. Sie liebte nun einmal die Glocken. Und ich, dachte Alan, ich liebe sie. Zum ersten Mal gestand er sich dies unumwunden ein. Bislang hatte er versucht, seine Gefühle für Catlin zu verdrängen, sich eingeredet, ihr nur Freundschaft entgegenzubringen. Er blickte zu ihr hinüber. Wie festgenagelt stand sie da und starrte in das Grab ihres Vaters. Der Regen hatte aufgehört, Sonnenstrahlen drangen durch die dräuenden Wolken und streichelten ihr Gesicht, als wollten sie die Trauernde trösten.
Alan musste schlucken. Catlins Kummer ging ihm näher als sein eigener, wiewohl er ihren Vater geschätzt und auch geliebt hatte, nachdem dieser ihn aufgenommen hatte wie einen Sohn. Nie war ein böses Wort über Henrys Lippen gekommen, selbst als Alans erste Klinge beim Härten missglückt war. »Das Wasser …«, hatte Henry gesagt. »Du bist das Wasser hier nicht gewöhnt. Wir hätten mehr Probehärtungen vornehmen müssen.« Wir. Er hatte wir gesagt, obwohl er du gemeint hatte, denn er selbst kannte sehr wohl die Eigenschaften des Wassers in der Schmiede. Henry benötigte nur wenige Versuche, um sicher zu sein, dass ihm das Härten gelang. Alan aber hatte ihn beeindrucken wollen. Hochmut kommt vor dem Fall, hatte er sich darum immer wieder sagen müssen. Der Herr hatte ihn für seine Unbescheidenheit bestraft und recht daran getan. Ein guter Handwerker, ob Schmied oder Glockengießer, durfte niemals anmaßend sein. Demut war vonnöten, um ein Handwerk auf gottgefällige Weise auszuüben.
In seiner Predigt hatte der Priester von der Trauer der Hinterbliebenen gesprochen und sie ermahnt, sich nicht fallen zu lassen, sondern mutig und voller Zuversicht in die Zukunft zu blicken, auch um den Schmerz ihrer Mitmenschen zu lindern. Alan streckte sich also, als er bemerkte, wie sehr er in sich zusammengesunken war, und sah sich unauffällig um. Die Menge trauerte um Henry, denn er war beliebt im Dorf gewesen. Für seine Nachbarn und Freunde hatte er stets ein offenes Ohr gehabt. Viele hatten ihn um Rat gefragt, obwohl er doch zu den stilleren Menschen gehört hatte. Seine bescheidene, ehrliche Art, seinen Fleiß, sein Können und seine Zuverlässigkeit hatten alle geschätzt. Henry hatte es verstanden, das Werk seiner Mutter so weiterzuführen, dass auch das Dorf zu größerem Wohlstand gelangt war, denn die illustren Kunden der Schmiede hatten weitere Handwerker in die Gegend gelockt. Ein Gehängemacher, ein Gerber, ein weiterer Schwarzschmied und sogar ein Goldschmied hatten sich in der Nachbarschaft niedergelassen. Alan runzelte die Stirn. Die Tochter des Goldschmiedes hatte ein Auge auf ihn geworfen und ihr Vater bereits mit Henry über eine mögliche Verbindung der beiden jungen Leute gesprochen. Zum Glück hatte der Schmied nichts zugesagt, was Alan nicht hätte halten wollen. Da das Mädchen noch recht jung war, hatten sie die Entscheidung auf das kommende
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