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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. Traven
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langweilig wurde, zog ich ab nach Cadiz, und sobald mir in Cadiz die Luft nicht mehr bekam, wanderte ich wieder nach Sevilla, und wenn mir in Sevilla die Nächte wieder nicht gefielen, machte ich mich auf nach Cadiz. Dabei verging der Winter, und meine Sehnsucht nach New Orleans konnte ich glatt für einen Quarter verkaufen, ohne daß ich Gewissensbisse empfunden hätte. Warum muß es denn gerade New Orleans sein?
    Ich hatte auch nicht ein winziges Papier mehr in der Tasche als an jenem weit zurückliegenden Tage, an dem ich in dieses Land eingezogen kam. Und nie interessierte sich jemals ein Cop um meine Papiere oder um mein Woher, Wohin oder Wozu. Die hatten andre Sorgen. Paßlose arme Teufel waren ihre geringste Sorge. Wenn ich kein Schlafgeld für die Herberge hatte und mich in irgendeine Ecke legte, so lag ich am andern Morgen genau noch so ruhig und unschuldig da, wie ich mich am Abend hingelegt hatte. Und hundertmal war der Cop vorbeigewandert, und hundertmal hatte er gut aufgepaßt, daß mich auch niemand etwa aus Versehen stehlen möchte. Ich wage gar nicht daran zu denken, was aus andern Ländern wohl werden würde, wenn ein armer Bursche oder gar eine ganze Familie in einem Torweg schliefe oder auf einer Bank die Nacht verbrächte, ohne verhaftet zu werden und wegen Herumtreibens und Obdachlosigkeit im Gefängnis oder im Arbeitshaus zu verschwinden. Deutschland würde sicher sofort von einem Erdbeben und England von einer Sintflut vernichtet werden, wenn der Mann, der es wagt, obdachlos zu sein, nicht verhaftet und ordentlich verknackst wird. Denn es gibt eine ganze Anzahl von Ländern, wo obdachlos und mittellos zu sein ein Verbrechen ist; und es sind zufällig dieselben Länder, wo ein tüchtiger Raubzug, bei dem man nicht erwischt wird, kein Verbrechen ist, sondern die erste Stufe, um ein geachteter Bürger zu werden.
    Es kam vor, daß ich auf einer Bank lag und ein Cop mich aufweckte, um mir zu sagen, daß es gleich regnen würde und daß ich besser täte, unter jenen Torweg da drüben zu gehen oder in den Schuppen am andern Ende der Straße, wo Stroh sei, wo ich besser schlafen könnte und wo es nicht hineinregne.
    Wenn ich hungrig war, ging ich in einen Bäckerladen und sagte dem Manne oder der Frau, daß ich kein Geld hätte, dafür aber um so mehr Hunger, und ich bekam Brot. Niemand verekelte mir das Dasein mit der langweiligen Frage: »Warum arbeiten Sie nicht, Sie sind doch ein starker gesunder Bursche!«
    Das hätten sie als grobe Unhöflichkeit angesehen. Denn wenn ich nicht arbeitete, so mußte ich wohl meine guten Gründe dafür haben; und diese Gründe aus mir herauszuforschen, hielten sie für unanständig.
    Was gingen da für Schiffe ’raus! Manchen Tag gleich ein halbes Dutzend. Sicher war da Arbeit auf dem einen oder dem andern.
    Aber ich sorgte mich nicht darum. Ich lief der Arbeit nicht nach. Warum auch? Der spanische Frühling war da.
    Um Arbeit sollte ich mich sorgen? Ich war auf der Welt, ich lebte, ich war lebendig, ich atmete die Luft. Das Leben war so wundervoll schön, die Sonne war so golden und so warm, das Land so märchenhaft lieblich, alle Menschen so freundlich, auch wenn sie in Lumpen gingen, alle Leute so höflich, und über alles das war so viel echte Freiheit. Kein Wunder, das Land hatte ja an dem Kriege für die Freiheit und die Demokratie der Welt nicht teilgenommen. Deshalb hatte der Krieg hier die Freiheit nicht gewonnen, und die Menschen hatten sie nicht verloren.
    Es ist so unerhört lächerlich, daß alle die Länder, die von sich behaupten, sie seien die freisten Länder, in Wahrheit ihren Bewohnern die geringste Freiheit gewähren und sie das ganze Leben hindurch unter Vormundschaft halten. Verdächtig ist jedes Land, wo so viel von Freiheit geredet wird, die angeblich innerhalb seiner Grenzen zu finden sei. Und wenn ich bei einer Einfahrt in den Hafen eines großen Landes eine Riesenstatue der Freiheit sehe, so braucht mir niemand zu erzählen, was hinter der Statue los ist. Wo man so laut schreien muß: Wir sind ein Volk von freien Menschen!, da will man nur die Tatsache verdecken, daß die Freiheit vor die Hunde gegangen ist oder daß sie von Hunderttausenden von Gesetzen, Verordnungen, Verfügungen, Anweisungen, Reglungen und Polizeiknüppeln so abgenagt worden ist, daß nur noch das Geschrei, das Fanfarengeschmetter und die Freiheitsgöttinnen übriggeblieben sind. In Spanien spricht kein Mensch von Freiheit, und in einem andern Lande, wo man auch nicht

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