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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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Antonia, ob sie etwas zu essen oder zu trinken haben wollte, ob ihr etwas fehlte, ob sie einen Arzt rufen sollte. Antonias Lungen pfiffen laut. Sie musste eine Lungenentzündung haben, die die letzten Kräfte aus ihr heraussaugte.
    »Lass mich um Gottes willen in Frieden sterben«, sagte sie. Wenn Nella jetzt darüber nachdachte, war es im Grunde genommen unglaublich, wie vieles Antonia im Laufe der Jahre in Frieden hatte tun wollen: in Frieden schreiben, in Frieden lesen, in Frieden sein.
    »Ich hole dir ein Glas Wasser.«
    Antonia fielen die Mundwinkel herunter.
    »Untersteh dich, mir Wasser zu geben«, zischte sie, doch Nella tat, als würde sie sie nicht hören. Für etwas waren die ganzen Jahre auf Liljenholm doch gut gewesen, dachte sie. All das zu überhören, was sie hatte überhören sollen. Sie musste ihre Füße durch die Bibliothek zwingen, durch das Ankleidezimmer, den Gang und die Treppe hinunter in die Küche, musste tief durchatmen, bevor sie das Licht einschaltete. Oh, Laurits! Sie konnte sie hier noch immer spüren, in den Küchenutensilien, ja, selbst in dem großen Ofen. Das Wasser in der Küche war braun von Rost. Sie ließ es über ihre Handrücken laufen, bis die Knochen eisig waren. Ließ es noch eine Weile weiterlaufen, doch sie konnte sich nichts vormachen. Der Verlust ließ sich nicht betäuben.
    Während der Sturm einen Holzstoß durch die Luft zu wirbeln schien, protestierte Antonia, so gut sie konnte.
    »Zuerst lässt du mich vor die Hunde gehen, und dann kommst du plötzlich angerannt«, flüsterte sie, während Nella ihr das Wasserglas an die Lippen hielt. »Du kommst einfach her … und übernimmst … als würde dir das Ganze gehören. Als hättest du es verdient, auch nur irgendetwas zu besitzen …«
    Das Wasser lief über Antonias Wangen und bildete rotbraune Flecken auf dem Kissenbezug. Die Ungeduld ließ Nellas Stimme zittern.
    »Komm schon! Trink etwas Wasser, Mutter!«
    Doch Antonia wandte nur das Gesicht ab und kniff gleichzeitig die Lippen zusammen, als würde sie ernsthaft erwarten, dass ihr Nella den Inhalt ins Gesicht schüttete. Nicht, dass ich ihr das hätte verdenken können, aber lassen wir das.
    »Verschwinde«, flüsterte Antonia, sobald Nella das Glas abgestellt hatte, doch Nella hatte nicht vor zu verschwinden, und Antonia schien das zu wissen. Ihre Züge erschlafften langsam.
    »Du hättest niemals geboren werden sollen«, murmelte sie als Letztes, und Nella musste sich ins Gedächtnis rufen, dass sie das alles schon einmal gehört hatte. Alle Anklagen, alle Verwünschungen, all die Arten, auf die sie als Liljenholms Erbin versagt hatte. Musiklehrerin! Mein Gott wie anspruchsvoll! Wenn Antonias Worte so in ihrem Kopf widerhallten, setzte sie sich gewöhnlich in Bewegung, damit sie verschwanden, das war ihr schon fast zur Gewohnheit geworden. Also verließ sie auch jetzt mit schnellen Schritten das Arbeitszimmer und kam mit ebenso schnellen Schritten wieder zurück. Sie machte sich an dem Kamin und an einigen Teppichen zu schaffen, zog einen geblümten Ohrensessel vor das Regal, nahm ein versilbertes Hakenkreuz von der Wand über dem Schreibtisch und warf es in den Abfalleimer. Es half, noch schneller zu gehen. Durch das Ankleidezimmer, die Treppe zur Küche hinunter, die ohne Fräulein Lauritsen weiterhin leer wirkte. Selbst nach all den Jahren, die auf eine seltsame Weise hier draußen nicht vergangen zu sein schienen. Das Roggenbrot, das sie heute Morgen beim Bäcker gekauft hatte, war bereits zu hart für die stumpfen Küchenmesser. Nella sägte und schnitt, während das leise Heulen erneut zu hören war. Als sich das Brot in zwei Hälften teilte, hörte Nella ihre Mutter rufen.

Ein paar ereignisreiche Wochen
    Vor genau vierzehn Abenden hat mein neuer, zweifelhafter Freund, Liljenholm, mich in gewisser Weise vorgewarnt. Wovor ist mir allerdings nicht ganz klar. Ich war in mehr als einer Beziehung am Boden zerstört, denn Nella hatte nichts von sich hören lassen, obwohl ich ihr einen beschwörenden Brief nach dem anderen geschickt hatte. Ich werde wahnsinnig, hier alleine zu sein! Wenn du nicht innerhalb einer Woche zurückkommst, fahre ich nach Hause nach Kopenhagen. Dann kannst du machen, was du willst! Aber ich fuhr nicht nach Hause, obwohl ich zwei Wochen hintereinander damit gedroht hatte. Ich saß noch immer in meinem Arbeitszimmer und hämmerte auf die Tastatur ein, während ich mir mit jedem Moment idiotischer und eingesperrter vorkam. Antonia hatte

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