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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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die Einsamkeit jahrelang ertragen, versuchte ich mir ins Gedächtnis zu rufen. Dann konnte ich das wohl auch, zumindest noch eine Weile. Meine Arbeit schritt schließlich planmäßig voran, wie Sie sehen. Nur weil Nella ihr Versprechen nicht hielt, hieß das noch lange nicht, dass ich auch meins brechen musste.
    Doch gerade als ich so darüber nachgrübelte und mich abwechselnd verschmäht und reinen Herzens fühlte, fiel der Strom aus. Es wurde stockdunkel. Ich konnte nicht einmal meine Hand sehen, wenn ich sie dicht vor meine Augen hielt. Ich bekam den Kammerleuchter zu fassen und ein Streichholz, das ich anzündete. Entschlossen erhob ich mich und öffnete die Tür. Die kleine Treppe ächzte laut, als ich sie hinunterstieg. Alles andere als entschlossen, fürchte ich. Natürlich war mir Liljenholms Grundriss einigermaßen vertraut, deshalb wusste ich, dass ich nach rechts durch die Bibliothek ins Ankleidezimmer musste, um zu der Treppe, in die Küche und zu dem Loch, das in den Keller hinunterführte, zu gelangen, wo die Sicherungen waren. Die Bücher erschienen in der Dunkelheit plötzlich äußerst lebendig, und in den Ecken lauerten Schatten, die sonst nicht dort waren. Tu um Gottes willen, als ob nichts sei!, murmelte ich laut vor mich hin, während die Flamme leicht flackerte. Ich zwang meine Füße weiterzugehen. Konzentrierte mich auf die nächsten Schritte und auf nichts anderes.
    Wie man sich sicher vorstellen kann, braucht es Zeit, bis man die Sicherungen unten im Keller erreicht hat. Kurze Zeit später beleuchtete eine einsame Birne mit ihrem harten, weißen Licht die Treppe, und ich atmete erleichtert auf. Doch als ich so dastand und die Spinnenweben studierte, die wie tote Schlingpflanzen von der Decke hingen, sah ich auf dem Boden etwas glitzern. Es war das Medaillon, das in meiner Erscheinung um den Hals der übergewichtigen Frau gebaumelt hatte, von der ich annahm, dass es sich um Fräulein Lauritsen gehandelt haben musste. Die dazugehörige Kette war ordentlich darum arrangiert, als läge es in einem Schaufenster. Ich hob es auf, hielt es lange in der Hand und spürte, wie das kalte Metall wärmer wurde. Ich meinte zu erkennen, dass es aus einundzwanzigkarätigem Gold war.
    Mein erster Gedanke war natürlich der, dass Nella es verloren haben musste, als wir das letzte Mal hier unten waren. In diesem Moment öffnete sich oben die Haustür und fiel wieder ins Schloss. Jemand sagte etwas, ich kannte diese Stimme. Nellas Stimme. Nellas Schritte auf den Fliesen.
    »Bist du da?«, rief sie. Die Tür öffnete sich und fiel wieder zu. Ich eilte die Treppe hinauf, durch das Haus. Vielleicht habe ich auch gerufen: »Ja, ich bin hier, Nella! Ich bin hier!« Oder um ganz ehrlich zu sein: Ich habe es gerufen, als wäre das, was noch von mir übrig war, ein mit dem Schwanz wedelnder Hund, der zu lange alleine zu Hause gewesen war. Nella stand mit fünf Koffern, zwei Hutschachteln und mehreren Aktenschränken in der Halle. Ihre Hände machten sich nervös an den Knöpfen ihres feinen Mantels zu schaffen. Nach den vielen Wochen des unzumutbaren Wartens hatte ich einerseits Lust, die Arme auszubreiten, und andererseits, ihr das Medaillon an den Kopf zu werfen. Doch eigentlich hatte ich mehr als genug damit zu tun, den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken, der es mir unmöglich machte zu sprechen. Die Halskette baumelte an meinem Finger.
    »Aber das ist ja Laurits’ Medaillon!«
    Nella kam auf mich zu. Ihre Brauen hatten sich zusammengezogen, und sie nahm mir die Halskette ab und studierte sie eingehend.
    »Wo hast du sie gefunden?«
    Sie versuchte, das Medaillon zu öffnen.
    »Laurits hat sie bei festlichen Anlässen immer getragen. Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen«, sagte sie. Sie sah mich nicht einmal an.
    »Ich habe sie im Keller gefunden. Der Strom war ausgefallen.«
    Das Medaillon widersetzte sich all ihren Bemühungen, es aufzubekommen, und meinen ebenso. Nella interessierte sich offensichtlich viel mehr für die dumme Halskette als für mich, und es half nicht, dass ich blinzelte und mich räusperte und wegdrehte. Jeder Idiot, selbst der allergrößte, hätte mitbekommen, dass ich weinte, und auch sie starrte mich endlich an.
    »Habe ich etwas falsch gemacht?«, fragte sie tatsächlich. Ich hoffte, ihr mein Problem begreiflich machen zu können. Ein Monat des Wartens auf Liljenholm bringt wohl jeden dazu, den Kopf hängen zu lassen, und zu Nellas Verteidigung muss man sagen, dass sie sich

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