Das Turmzimmer
gestärkte Manschetten, die mich an Waschen und Mangeln vom Feinsten erinnerten. Nur einen Moment, bis es mir gelang, den Gedanken beiseitezuschieben.
»Fräulein Kruse, wo sind Sie mit Ihren Gedanken?«
Ich beeilte mich, meinen Mantel an den linken Haken zu hängen und meine Schuhe gegen Simons Pantoffeln zu tauschen, doch Simon war nirgendwo zu sehen. Wahrscheinlich war er in seinem Arbeitszimmer, dessen Tür ganz leise ein paar Zentimeter weit aufgegangen war.
»Gestern Nachmittag hatten wir Besuch von der Polizei, Fräulein Kruse. Ihretwegen«, sagte Frau Hansen. Sie hüstelte auffordernd, bis ich den Blick hob.
»Wirklich?«
»Ja, die beiden Beamten haben mir einige Fragen gestellt, die ich natürlich beantwortet habe. Schließlich repräsentieren sie die Ordnungsmacht«, fuhr sie fort und signalisierte mir mit dem Kopf, dass wir die Unterhaltung im Wohnzimmer weiterführen sollten. Dieses eine Mal war ich dankbar für das Glas Sherry, das sie mir reichte.
»Sie sagen nichts, Fräulein Kruse?«
»Was soll ich denn sagen?«
Das war die falsche Antwort, wie ich an ihren Augenbrauen sah. Sie schossen nach oben wie wütende Möwen.
»Nun, ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll«, sagte sie. »Über Sie, meine ich. Die Polizei wollte wissen, wie lange Sie schon für uns arbeiten und wie viele Stunden, und stellte noch eine Menge Fragen über Ihre Vergangenheit, die ich nicht beantworten konnte, was mir natürlich Sorgen bereitet.«
Die Veloursmöbel stachen ihre Borsten in meine Handflächen.
»Was haben Sie denn geantwortet?«
»Ich habe mir Folgendes gedacht«, sagte sie und schlug die Beine übereinander. »Dieses Fräulein Kruse scheint zumindest Talent zu haben, meinen Mann zum Reden zu bringen, deshalb sollte ich vielleicht ihre Haut retten, nur dieses eine Mal. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill? Sie sind mir eigentlich völlig gleichgültig, Fräulein Kruse, daraus will ich kein Geheimnis machen, doch mein Mann und sein Wohlbefinden sind mir alles andere als gleichgültig. Deshalb habe ich der Ordnungsmacht geantwortet, dass Sie schon eine Zeit lang von morgens bis abends hier arbeiten und dass Sie, soweit ich weiß, bis spät in die Nacht dort, wo immer Sie wohnen, die Notizen ins Reine schreiben. Aber Sie verstehen bestimmt, Fräulein Kruse …«
Ein Diamantring glitzerte in der Sonne, als sie mit den Fingern schnipste.
»Ich kann mich auch ganz schnell anders entscheiden und der Ordnungsmacht erzählen, dass Sie erst seit erbärmlichen vierzehn Tagen hier arbeiten und dass ich nicht den geringsten Grund habe, Ihnen weiter zu vertrauen. Man stellt Sie ein, um Notizen zu machen, und stattdessen fragen Sie uns aus. Hoffentlich sehen Sie das Problem.«
Sie erhob sich als Signal, dass ich es ihr gleichtun sollte. Ihr prunkvoller Ring wäre mir bestimmt mehr ins Auge gefallen, wenn sie ihn an einem der anderen Tage getragen hätte. Würde er mir gehören, könnte ich mehrere Monate ohne Sorge um die Miete leben, konnte ich noch denken, bevor Frau Hansen mich unterbrach.
»Vor diesem Hintergrund habe ich beschlossen, Ihre Arbeit von nun an zu überwachen«, sagte sie. Ein klarer Gedanke meldete seine Ankunft mit einem pochenden Schmerz in meiner rechten Schläfe: Frau Hansens Polizeigeschichte war von hinten bis vorne erlogen. Ich erkannte so etwas auf viele Kilometer Abstand. Und ohne zu viel zu verraten, kannten die Polizei und ich uns gut genug, um zu wissen, wo wir einander treffen und wo wir einander aus dem Weg gehen sollten. Und meine Vergangenheit? Ha! Dazu mussten sie Frau Hansen wohl kaum befragen. Ich hatte große Lust, ihr das zu sagen. »Hören Sie zu, kleine Frau Karen Hansen, was glauben Sie wohl, wie es mir gelungen ist, in all den Jahren meine Haut zu retten? Bestimmt nicht, indem ich Lügengeschichten wie Ihrer geglaubt habe, das sage ich Ihnen. Und warum erzählen Sie mir das überhaupt? Sie haben doch jedes Recht, meine Arbeit zu überwachen, wenn Sie das wollen.« Doch ich blieb ruhig, und in meinem nicht ganz so ruhigen Kopf versuchte ich, meinen Plan den veränderten Umständen anzupassen. Darin verfügte ich auch über eine gewisse Erfahrung.
Als wir Simons Arbeitszimmer betraten, fiel mir Frau Hansens ängstlicher Blick auf. Vielleicht war er auch eher gehetzt. Ich ertappte mich dabei, dass ich auf die unterste Schublade des Aktenschranks starrte. Gestern hatte sie ganz sicher nicht leicht offen gestanden, sodass die vergilbten Papiere darin deutlich zu erkennen
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