Das Ultimatum - Thriller
das Zimmer. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, streifte er die Handschuhe ab und ging den Korridor entlang in Richtung der Fahrstühle.
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Martin Dalston nahm noch einen Schluck von seinem Pinot noir und stellte das Glas neben den drei Tablettenfläschchen ab, die er auf dem Nachttisch arrangiert hatte. Daneben lagen die Umschläge, die die Briefe an seinen Sohn und seine Ex-Frau enthielten. Dann zündete er sich die zweite Zigarette des Tages an. Die zweite der letzten zweiundzwanzig Jahre. Sie schmeckte nicht wirklich, und er musste sogar husten, aber das war ihm nun egal.
Er betrachtete das Seil, das er an dem massiven Bilderhaken auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers befestigt hatte, und dessen Schlinge. Im Nachhinein wünschte er, er hätte es nicht getan, denn nun hatte er es ständig im Blick, und es erinnerte ihn schmerzhaft an das, was vor ihm lag. Aber sonst hatte er keine geeignete Stelle gefunden, und selbst bei dem Haken war er sich nicht sicher, ob er seine wenn auch mageren dreiundsechzig Kilo aushalten würde.
Typisch für einen Mann, der sich gern immer alle Möglichkeiten offenhielt, hatte Martin sich gleich für zwei Varianten entschieden. Erhängen war die schnellere Methode, wenngleich die Höhe des Hakens von ihm verlangte, die Beine anzuziehen, damit das Seil ihn entweder erwürgte oder ihm besser noch das Genick brach. Das wiederum erforderte eine Selbstdisziplin, von der er nicht wusste, ob er sie tatsächlich aufbringen würde.
Die Tabletten waren die langsamere, weniger schmerzhafte Methode; eine Kombination aus Barbituraten, Oxazepam und Aspirin, die ihn, so hatte er recherchiert, problemlos wegdämmern ließe.
Das Problem mit einer Überdosis war nur, dass er dadurch Zeit haben würde, nachzudenken, und es sich dann vielleicht anders überlegte. Wenn es dagegen schnell ging, hätte er dazu jedenfalls keine Gelegenheit. Am liebsten hätte er eine Pistole gehabt, aber er lebte leider in England, wo so etwas unmöglich war. Deshalb hatte er sich nach langem Grübeln folgenden Plan zurechtgelegt: Er würde die Pillen nehmen, sich in die Kissen sinken lassen, dabei aber stets das Seil im Auge behalten, das ihn daran gemahnen würde, wie schmerzhaft die Alternative wäre.
Sein Husten verebbte, er nahm einen weiteren tiefen Zug aus der Zigarette und versuchte es zu genießen. Merkwürdigerweise hatte er diesen Nachmittag herbeigesehnt. Er war schon immer anfällig für melancholische Anwandlungen gewesen. Hatte sich gerne an glücklichere Tage erinnert und sie durch die rosafarbene Brille betrachtet. So bot sich ihm nun auch die schmerzhaft süße Gelegenheit, die glücklichsten zwei Wochen seines Lebens Augenblick für Augenblick passieren zu lassen und sich vorzustellen, was hätte werden können, wenn er seine Träume wahrgemacht und Carrie Wilson zum Altar geführt und nicht das Vernünftige getan und Sue geheiratet hätte.
Doch immer wieder wurden seine Erinnerungen vom Lärm der Sirenen getrübt, der von unten heraufdrang. Ein paar Minuten zuvor hatte er erregte Schreie vernommen, die aus dem Hotel zu kommen schienen, und sogar etwas, das nach Schüssen klang, auch wenn er sich da nicht sicher war. Er lehnte sich zurück, doch die Sirenen wurden jetzt wieder lauter, es schien, als wären die dazugehörigen Wagen alle unter seinem Fenster zum Stehen gekommen.
Er erwog, aufzustehen und nachzusehen, was die Aufregung sollte, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Die Welt außerhalb von Zimmer 315 war nicht länger von Bedeutung, schon gar nicht, wenn er gleich ein Rendezvous mit der jungen und üppigen Carrie Wilson hatte, deren durch ihr Lächeln blitzende Zahnlücke er so schmerzhaft vermisste.
Er nahm sein Weinglas und trank noch einen tiefen Schluck Pinot noir.
Bald war es Zeit, die erste Pille zu schlucken.
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17:11
Raum 1600, das Einsatzzentrum im sechzehnten Stock von New Scotland Yard, glich einem Tollhaus. Von den etwa zwanzig Polizisten und Bediensteten, die darin herumschwirrten oder am Telefon hingen, war DAC Arley Dale die Dienstälteste. Ihr fiel die herkulische Aufgabe zu, die Evakuierung des gesamten Londoner Nahverkehrs sowie aller öffentlichen Gebäude zu regeln. Diese Entscheidung war als Konsequenz auf die Anschläge in Westfield und am Bahnhof Paddington getroffen worden, da niemand voraussagen konnte, wo die nächste Bombe hochging. Auch herrschte Unschlüssigkeit, wie weit man die Evakuierungen treiben sollte, zumal eben gerade die
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