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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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fragt in gebrochenem Italienisch, ob sie Englisch reden könne, und als der Mann nickt, atmet sie erleichtert auf.
    Sie suche ein Zimmer, erklärt sie, möglichst günstig, für ein, zwei Nächte.
    Sie erhält ein erneutes Nicken zur Antwort. Dann wendet er sich seinem Computer zu und tippt etwas ein. Er sagt, dass gerade eine Messe vorbei sei und er ihr deshalb ein gutes Angebot machen könne. Wie zum Beweis greift er hinter sich in ein Regal mit vielen Schlüsseln und nimmt einen davon heraus. »Fünfzig Euro die Nacht, mit Frühstücksbüfett, okay?«
    Martha willigt ein und unterschreibt schnell das Formular, das ihr der Mann mit einem Lächeln über den Tresen schiebt.
     
    Zehn Minuten später lässt sie sich in einem schmalen dunklen Zimmer aufs Bett fallen. Die Tagesdecke riecht abgestanden, wie die Luft in dem Raum. Aber das ist ihr egal. Sie schließt die Augen, und innerhalb von Sekunden fällt sie in einen tiefen Schlaf.
    Als sie aufwacht, dämmert es bereits hinter den Jalousien. Ihr Blick irrt orientierungslos umher und bleibt schließlich an der Reisetasche hängen, die unausgepackt vor der Tür zum Badezimmer steht.
    Martha erhebt sich, und dabei streicht sie die Falten in ihrem Kleid glatt, als könnte sie so wenigstens ein bisschen Ordnung schaffen. Ordnung in einer Welt, die von heute auf morgen Kurs aufs Chaos genommen hat.
    Ihre Sachen sind schnell ausgepackt. Sie hängt ein paar Dinge im Schrank auf, verteilt Creme, Bodylotion, Make-up, Zahnbürste, Zahnpasta, Kamm auf der Konsole unter dem Spiegel im Bad, legt Lesebrille und Notizbuch auf den Nachttisch.
    Sie bleibt etwas länger unter der Dusche als gewöhnlich, lässt heißes Wasser über ihren Körper laufen. Diesen Körper, der sich nun als ihr Gegner aufspielt. Jetzt verwöhnt sie ihn mit Seife, als wollte sie ihn versöhnlicher stimmen. Sie streicht mit den Händen über Bauch und Brüste, fährt über den Po, der sich noch immer fest anfühlt. Unter den Achseln und an den Beinen wachsen Härchen nach, und sie beschließt, in den nächsten Tagen irgendwo hier in der Stadt einen Termin zur Depilation zu vereinbaren. Sie lächelt bei dem Gedanken, derlei Pläne zu machen. Pläne, die ihre Vektoren nach außen richten. Dorthin, wo es keine Krankheit gibt.
    Als sie mit einem Handtuch um die Hüfte aus dem Badezimmer kommt, fällt ihr Blick auf ihren Laptop, den sie auf dem kleinen Tisch unter dem Fenster abgestellt hat. Sie setzt sich auf den Stuhl davor, fährt den Computer hoch und loggt sich kurz darauf ins Internet ein. In ihrem Mailaccount findet sie eine Nachricht von Lina.
    »Liebe Mama, mache mir große Sorgen um dich. Papa ist hier bei mir, und seit heute Morgen wissen wir von deiner Ärztin, was los ist. Bitte, bitte gib mir Bescheid, wo du bist. Deine Lina.«
    Sie schluckt, als sie die drei Sätze liest. Die Worte ihrer Tochter holen etwas zurück, das gerade versucht, sich davonzuschleichen. Sie spürt das vertraute Verantwortungsgefühl in sich hochkriechen. Für den Bruchteil einer Sekunde will sie auf »Antworten« drücken, doch dann fährt sie schnell mit dem Cursor auf das Symbol für »Logout«.
    Später, sagt sie sich. Ich schreib ihr später, sie soll sich nicht beunruhigen. Und außerdem ist Hans bei ihr, er kann sich kümmern. Kann tun, was Martha all die Jahre getan hat, während er … Sie führt den Gedanken nicht zu Ende. Keine kleingeistige Aufrechnerei.
    Stattdessen holt sie ein Kleid aus dem Schrank und zieht es an. Ein Sommerkleid aus blauer Waschseide. Der Spiegel, der sich hinter der Tür befindet, wirft ihr Bild zurück, und es gefällt ihr, was sie sieht.
    Ein paar Stunden will sie in dieser neuen Stadt ganz für sich sein. Will ankommen, eintauchen, durchatmen. Will vorerst niemandem erklären, wo sie ist. Niemandem Rechenschaft abgeben.
    »In deinem Leben bist jetzt mal du an der Reihe«, hat ihr Francesca damals beim Abschied in Triest gesagt.
    Ja, verdammt, denkt sie nun, während sie ihre Haare kämmt und mit einem Gummi im Nacken zusammenbindet. Keine vierundzwanzig Stunden ist es her, seit sie zusammen mit Lina den Tisch für ihre Geburtstagsfeier gedeckt und die Rosen von Hans in den Eimer gestellt hat. Nein, sie ist keine schlechte Mutter, wenn sie noch einige Stunden für sich bleibt. Erst mal ihren Standort bestimmt, bevor sie ihn anderen preisgibt.
    Sie trägt Parfum auf. Dann nimmt sie ihre Handtasche und verlässt das Zimmer. Die Tür klemmt ein wenig, als Martha sie hinter sich

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