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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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müssen. Gleichungen, die auf der Haben-Seite noch etwas zu verbuchen haben.
    Sie fühlt ein Lächeln in sich, als sie ihre Tasche nimmt, der Frau zunickt und hinaus in den Morgen tritt. Der Himmel ist grau, es nieselt leicht, aber das alles stört sie auf einmal nicht mehr.
     
    Gut zwei Stunden später fährt sie über den Brenner, vorbei an den alten Zollstationen und Grenzkontrollhäuschen, in denen einen niemand mehr nach dem Reisepass fragt.
    Die Wolken reißen auf und zeigen erstes Blau. An der Mautstation zieht Martha ein
biglietto,
dann gibt sie Gas, darauf achtend, die in Italien geltende Geschwindigkeitsbeschränkung nicht zu überschreiten. Sie passiert diverse Tunnel,
gallerie
heißen die hier, dazwischen legt sie ihren Blick auf die Bergspitzen und die Burgen, die dort oben thronen.
    Bei Trento trinkt sie wieder einen Kaffee. Einen Kaffee, den der Mann an der Bar aus einer großen Espressomaschine herauslaufen lässt. Er schäumt Milch auf und gibt sie dazu. Der erste Schluck schmeckt, wie das Leben schmecken soll, und Martha begreift ein zweites Mal, warum die Frau an der Münchener Raststätte sie heute Morgen glücklich genannt hat.
    Sie tankt ihren Lancia voll, dann fährt sie zurück auf die
autostrada.
Sie lässt Namen wie Bolzano und Lago di Garda auf großen grünen Schildern an sich vorbeifliegen. Sie passiert riesige Apfelplantagen und Weinanbaugebiete. Die Blätter an Bäumen und Weinstöcken stellen zögerlich auf Herbstfarben um und lassen sich ansonsten von der Sonne bescheinen. Auf der Höhe von Verona vermeldet die Temperaturanzeige in Marthas Auto bereits über 25  Grad, und sie ist froh, dass sie letzte Nacht in dieser kühlen norddeutschen Kleinstadt, die ihr fast ein Leben lang Heimat gewesen ist, ein paar Sommersachen eingepackt hat.
    Sie will jetzt nur noch weiter. Will weiter ohne Pause. Will an diesen Ort, von dem Francesca ihr an dem Frühsommertag in Triest erzählt hat. Irgendwann taucht der Name zum ersten Mal auf den grünen Schildern auf. Bologna. Wenig mehr als hundert Kilometer. Die gerade mal zwei Stunden Schlaf, die Martha sich in München gegönnt hat, fordern Fortsetzung, doch sie will sich jetzt nicht hinlegen. Ankommen – das ist es, wonach es sie drängt. Das duldet keinen Aufschub.
    Es ist heiß, doch es gibt keine Klimaanlage in ihrem Auto. Also kurbelt sie die Scheiben herunter und lässt den Fahrtwind herein. Sie trägt noch immer das schwarze Kleid mit der Spitze, das sie für ihre Geburtstagsfeier ausgesucht hat. Mittlerweile klebt der Stoff an ihrem Körper, und sie riecht den leichten Schweißgeruch, der sich unter ihren Achseln gebildet hat.
     
    Sie nimmt die Ausfahrt
centro.
Dahin will sie schließlich. Ins Zentrum eines neuen Lebens.
    Es geht durch Industriegebiete, vorbei an Autohäusern, Möbeldiscountern, Elektrogroßhändlern. Es wird gehupt, wenn sie die Spur nicht schnell genug wechselt, mehr und ungeduldiger, als sie das von Deutschland gewohnt ist. Einmal zuckt sie nur mit den Schultern, weil sie nicht weiß, in welche Richtung sie soll – schließlich hat sie weder Navi noch Stadtplan dabei. Der Mann, der sie schließlich links überholt, schüttelt erst den Kopf, dann lächelt er. In dem Moment spürt sie, dass man ihr in diesem Land nichts übelnehmen wird. Es scheint ein Spiel mit Emotionen zu sein, selbst auf den Straßen, man reizt alles aus, und dann macht man sich mit einem Augenzwinkern davon.
    Irgendwann taucht ein Stadttor auf. Die Häuser links und rechts werden älter, die Straßen werden enger, die Menschen werden mehr.
    An einer Hinweistafel sucht Martha sich ein Hotel aus. Sie greift einfach einen Namen unter vielen heraus. Sie kennt hier nichts und niemanden, also überlässt sie dem Zufall die Wahl.
    Das Gebäude, vor dem sie ungefähr zehn Minuten später steht, ist eines, das seine besten Tage hinter sich hat. Von der Fassade bröckelt der Putz, ein Buchstabe der Neon-Leuchtschrift über dem Eingang hat sich gelöst und hängt nach unten. Rechts neben dem Haus befindet sich ein Kino, vor dem eine Gruppe junger Leute sich die Vorankündigungen in den Glaskästen ansieht und laut debattiert.
    Martha parkt ihr Auto im Halteverbot, stellt den Motor ab, steigt aus und überquert die Straße. Eine Drehtür führt ins Innere des Hotels. Das Licht in der mächtigen Eingangshalle ist schummrig; ein älterer Mann mit Glatze eilt aus einem Hinterzimmer an die Rezeption und begrüßt Martha mit einem breiten
»Buon giorno«.
    Sie

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