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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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jetzt Deutsch.
    Es ist dieses »ihr zwei«, das sich in Martha festsetzt und ein Echo entstehen lässt, das hundertfach nachklingt und Micheles Antwort übertönt. Sie kann sich nicht erinnern, wann es zum letzten Mal auf sie zutraf. Es muss Jahre her sein. Jahre, in denen sich das Ich zurückhielt, ängstlich jedes Wir vermied, als sei die Zweisamkeit ein Feld voller Tretminen. Irgendwann hat Martha jede Bewegung aufgegeben. Weil sie sich nicht verletzen wollte. Weil sie den Schmerz ahnte. Weil sie meinte zu wissen, dass so etwas wie Liebe niemals ein Happy End vorsah. Und jetzt plötzlich nimmt sie das »ihr zwei« an. Legt sogar beide Hände darum, damit es sich nicht einfach so wieder davonmachen kann.
    Sie schüttelt sich, ganz kurz nur, wie man sich schüttelt, um sicherzugehen, dass man nicht träumt. Als sie zu Michele hinübersieht, weiß sie, dass er für sie beide entschieden hat. »Wir kommen noch auf einen Schluck mit.«
    Sie packt das Buch mit der Widmung in ihre Handtasche. Micheles »wir« legt sie als Lesezeichen hinein.

[home]
    11
    E s wird ein lebhafter Abend. Es bleibt nicht bei einem Schluck, und irgendwann beginnt Martha die Wirkung des Alkohols zu spüren. Es ist guter Wein. Rotwein aus Montalcino. Silvio hat zunächst Rosso bestellt, später Brunello. Das Geräusch von Korken, die aus Flaschen gezogen werden, liefert die Begleitmusik für den Abend.
    Francesca hat sich nach der Lesung schnell verabschiedet. Sie müsse noch Arbeiten korrigieren; man sehe sich morgen, in der Schule. Sie lachte, während sie von Michele zu Martha sah. Dann stieg sie auf ein hellblaues verbeultes Fahrrad, das sie vor dem Café neben der alten Uni abgestellt hatte, und fuhr davon. Sie trat kräftig in die Pedale, und als sie etwa zwanzig Meter entfernt war, drehte sie sich noch einmal um und winkte.
    Ungefähr zehn Leute sitzen nun an zwei Tischen, die von den Kellnern rasch zusammengeschoben wurden, als die kleine Gruppe eingetroffen ist. Unter Arkaden stehen die Tische; wie vieles in dieser Stadt spielt der Hauptfilm auch hier unter Arkaden. Der Gastraum des Restaurants ist nahezu leer, die Straße durch Säulen abgetrennt. Drinnen und Draußen haben nur eine Nebenrolle, die Handlung findet in einer Art Zwischenraum statt, beschützt durch das leicht gewölbte Rund, das die Decke bildet. Laternen hängen dort, die zu dieser Stunde ihr Licht anwerfen.
    Man kennt sich, man kennt den Wirt, der eine überdimensionale rote Brille trägt und seine Gäste hinter dicken Gläsern neugierig ansieht. Es gibt Küsschen,
baci
sagen sie dazu, und es gibt Rosen für die Frauen. Wieder Rosen, denkt Martha. Diesmal rosa Rosen, die in Vasen gesteckt werden, damit man sie später mit nach Hause nehmen kann.
    Platten mit Mortadella, Salami, Schinken und Mozzarella werden ungefragt aufgetragen, dazu ofenwarmes Brot, das innen weich ist und außen eine hellbraune Kruste hat, die nach Olivenöl und Rosmarin schmeckt. Es folgen Pasta mit Trüffeln und später Kalbsbraten mit geschmorten Zucchini und Ofenkartoffeln.
    Martha isst und trinkt, und hin und wieder lacht sie zurück, wenn jemand am Tisch sie anlacht. Sie redet nicht viel. Manchmal stellt man ihr eine Frage auf Englisch, dann antwortet sie, aber die meiste Zeit hört sie einfach nur zu, lässt die Gespräche an sich vorbeifließen.
    Silvio gibt den Wortführer, und sie beobachtet, dass er sich auch hier Beifall abholen will wie vorhin bei seiner Lesung. Es ist die Eitelkeit von Menschen, die am Applaus geschnuppert haben, die wissen, wie sich Hofknickse anfühlen.
    Als zum Kaffee Grappa eingeschenkt wird, hält sie die Hand über ihr Glas und schüttelt den Kopf.
    »Ich vertrag nicht so viel«, sagt sie zu Michele, der neben ihr sitzt, und als müsste sie sich entschuldigen, versieht sie ihren Satz mit einem Schulterzucken.
    »Ach, ich lass es heute auch«, entgegnet er und macht dem Kellner ein Zeichen, während seine andere Hand unter dem Tisch wie zufällig ihr Knie findet. Die Wärme seiner Finger braucht ein paar Sekunden, um ihr Ziel zu erreichen. Und es ist nicht nur der Stoff von Marthas Jeans, der hier noch so etwas wie eine Restbarriere bildet. »Ist wohl besser, sich zumindest nicht ganz den Verstand umnebeln zu lassen.«
    Sie sieht ihn fragend an.
    »Ich vermute mal, dass du noch mit zu mir kommst.«
    Er legt diesen Satz einfach so auf den Tisch neben das leere Grappaglas. Und für einen Moment muss sie an einen anderen Satz denken, der sie vor zwei Tagen von einem

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