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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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musst du bald wieder abgeben. Scheißspiel, sag ich dir.«
    Francesca verstärkte den Druck ihrer Hand. »Sieh es mal so«, sagte sie leise, »du hast ihn wenigstens gezogen, den Hauptgewinn.«
    »Na ja, kurz vor Schluss. Ich war schon immer so ein verhindertes Glückskind.«
    »Das Glück ist doch nur eine Momentaufnahme.«
    Martha sah auf die Herzen, die sie gezeichnet hatte, und nickte. Ihr Lachen machte sich davon, so schnell, wie es gekommen war. »Wenn man’s genau nimmt, sind alles nur Momentaufnahmen«, erwiderte sie. »Unser ganzes Leben ist eine Reihe von Schnappschüssen, auf denen wir mehr oder weniger gut aussehen.«
    »Mein Bruder sieht ziemlich gut aus, seitdem es dich in seinem Leben gibt. Und ganz ehrlich, ich habe dich die letzten Wochen beobachtet, auch du bist eine völlig andere Frau als die, die ich im Mai kennengelernt habe. Das mag sich jetzt vielleicht merkwürdig anhören, aber du wirkst entspannter, trotz allem.«
    »Bin ich auch. Zumindest war ich das, bis dieser Arzt mir heute Morgen mit diesem Befund kam. Ich will nicht sterben, Francesca. Ich will das, was Michele auch will. Pläne machen. Zukunftspläne.«
    »Soll
ich
mit ihm sprechen?«
    »Nein, nein. Bitte sag nichts. Kein Wort. Versprich mir das. Das werde ich selbst tun, irgendwann … Und bis dahin werde ich jeden verdammten Moment auskosten.«
    »Verstehe.« Sie nahm die Hand von Marthas Schulter und stand auf.
    »Danke.«
    »Aber vielleicht solltest du ihn wenigstens bald mal zurückrufen. Ich kenne Michele. Er denkt immer gleich sonst was, wenn eine Frau sich nicht rührt.«
    Martha lächelte. »Die kleine Schwester, die sich um den großen Bruder sorgt.«
    »Dafür hat er früher andere Kinder verhauen, wenn mir jemand zu nahe kam.«
    »Michele? Er wirkt immer, als könnte er keiner Fliege was zuleide tun.«
    »Ja, ja, der große Yogi, ich weiß. Aber es gibt noch was anderes als
Shanti.
«
    »Wie bitte?«
    »Das Sanskritwort für Frieden. Hat er’s dir noch nicht beigebracht?«
    »Nein.«
    »Aber doch sicher ein paar Asanas, oder?« Jetzt grinste sie.
    Martha spürte, wie erleichtert sie auf einmal war, dass dieses Gespräch die Richtung gewechselt und von einer Minute auf die andere alle Schwere verloren hatte. »Ja«, erwiderte sie. »Und stell dir vor, ich mache nun fast jeden Tag meine Übungen.«
    »In Triest meintest du damals, du könntest nicht loslassen. Erinnerst du dich?«
    »Ja, da hab ich auch noch gemeint, alles im Griff zu haben. Selbst der Krebs schien eine Randnotiz. Ich hatte mich im Jahr zuvor operieren lassen und glaubte, damit sei die Sache überstanden. Den Tumor rausholen, ein paar Lymphknoten dazu, fertig. Und dabei immer schön in der Spur bleiben.«
    Francesca stand auf, legte Martha die Hand in den Nacken und streichelte ihr den Haaransatz. Eine zärtliche Geste. Eine, die Martha früher befremdet hätte. Heute entspannte sie sich, genoss die Berührung der warmen, kräftigen Finger.
    »Was wäre denn gewesen, wenn du diese Spur nicht verlassen hättest?«, fragte Francesca.
    »Du meinst, wenn die Kontrolluntersuchung im September nichts Auffälliges ergeben hätte?«
    »Ja.«
    Martha überlegte. »Nun ja«, sagte sie schließlich. »Ich hätte so weitergemacht wie bisher.«
    »Du wärst nicht nach Bologna gekommen, stimmt’s?«
    »Jedenfalls nicht so bald. Vielleicht auch gar nicht. Klar, auf dem Rückflug von Triest hab ich mir kurz mal vorgenommen, ein paar Dinge in meinem Leben zu ändern, aber kaum war ich zu Hause, spulte der Alltag wieder sein gewohntes Programm ab.«
    »Ein Programm, das dich nicht unbedingt glücklich gemacht hat.«
    »Nein, weiß Gott nicht.«
    »Hast du dich manchmal selbst bemitleidet?«
    Martha sah sie überrascht an. »Wenn ich’s mir genau überlege … ja, doch … ja, ich hab mir oft leidgetan. Ich meinte, vom großen Kuchen nur ein paar Krümel abbekommen zu haben.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt habe ich ein Riesenstück Sahnetorte und muss es ganz schnell aufessen.«
    »Aber es schmeckt.«
    Martha lachte. »Besser als alles, wovon ich jemals probiert habe.«
    Francesca zog die Hand, die noch immer in Marthas Nacken lag, zurück. »Manche Leute bleiben zeit ihres Lebens bei trockenem Zwieback«, sagte sie. »Die wissen gar nicht, wie Torte schmecken kann. Genieß also jeden Bissen.«
     
    Die Steintreppen vor der Kathedrale sind jetzt richtig kalt geworden. Die Freitagabendstimmung auf der Piazza versucht sich darin, den Sommer noch ein wenig aufzuwärmen, aber

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