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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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einmal, genauso wie es war. Von der Geburt bis zum Tod, und nichts hat sich verändert. Und das passiert wieder und wieder und wieder, auf immer und ewig. Er nannte diese Vorstellung ›Ewige Wiederkunft‹.
    Nun, vielleicht hat Nietzsche selbst kein Wort davon geglaubt, jedenfalls nicht im wörtlichen Sinn, aber er schrieb es so auf, als würde er es glauben. Er wollte ein Gedankenexperiment durchführen. Er wollte, dass der Leser die Vorstellung ernst nimmt und sich Gedanken darüber macht, damit er sich die folgende Frage stellt: Wenn es wahr wäre, wäre es eine schöne Vorstellung? Oder anders gefragt: Wenn man sein Leben noch einmal genauso leben müsste, wie es gewesen ist – dieselben Erfolge und Misserfolge, dieselben Freuden und Leiden, dieselbe Mischung aus Komik und Tragik –, würde man das wollen? Wäre es das wert? Und genauso ist es auch bei Vonnegut, glaube ich.
    Aber – wenn ihr mir noch einen Augenblick länger eure Aufmerksamkeit schenken wollt – ich glaube, dass es bei diesem Gedankenexperiment noch einen anderen Aspekt gibt, der genauso wichtig ist. Dabei geht es um den freien Willen. Für Nietzsche war die Ewige Wiederkunft auch eine Möglichkeit, vom Standpunkt eines Atheisten aus über den freien Willen nachzudenken. Seine Perspektive war zu der damaligen Zeit noch die einer Minderheit. Die Ewige Wiederkunft bot ihm die Möglichkeit zu spekulieren, dass es jenseits dieses Lebens nichts gibt. Das hier ist alles, was existiert, und wenn man nach irgendeinem Sinn sucht, muss man ihn im Hier und Jetzt suchen, durch unsere eigenen Anstrengungen und nicht durch irgendeine übernatürliche Macht. Und ich glaube, was Nietzsche damit bezwecken wollte, war ein richtiger Tritt in den Hintern. Das heißt nämlich nichts anderes, als dass wir alle die Verantwortung dafür tragen, die richtigen Entscheidungen zu treffen und das Menschenmögliche zu tun, um unsere einzige Chance nicht zu vermasseln.
    Nun, ich denke, dass Vonnegut damit im Großen und Ganzen einverstanden gewesen wäre, aber er hatte auch seine eigenen Ansichten zum freien Willen. Nach Vonneguts Auffassung ist der freie Wille nämlich nicht immer garantiert. Es ist etwas, das wir als selbstverständlich betrachten – in dieser Beziehung hätte er Nietzsche zugestimmt –, das uns aber auch ganz plötzlich genommen werden kann. Ein Teil seines Gedankenexperiments in Zeitbeben thematisiert genau dieses Szenario. Die Menschen werden gezwungen, auf Autopilot zu leben – sie wissen ganz genau, was in den nächsten zehn Jahren geschehen wird, und haben keine Möglichkeit, diese Geschehen zu beeinflussen. Das scheint der witzigste Aspekt der Geschichte zu sein, aber in Wahrheit – tief im Herzen der Erzählung – ist es der am wenigsten heitere Punkt. Denn Vonnegut war ein Mensch, der genau wusste, was der Verlust des freien Willens bedeutet. Als Soldat musste er mit ansehen, wie eine ganze Stadt bis auf die Grundmauern niedergebrannt wurde – und es gab nichts, was er oder Gott oder irgendjemand sonst dagegen hätte tun können. Er konnte nur helfen, die Leichen zu zählen. Es waren hundertdreißigtausend.
    Ich denke, Kurt Vonnegut kannte den Wert des freien Willens so gut wie jeder andere, aber er wusste auch um seine Grenzen – unter welchen Umständen man diesen freien Willen verlieren konnte.
    Ich möchte gerne abschließend einen Satz zitieren, der seinen Standpunkt wohl am besten darlegt: das Gelassenheitsgebet, das Vonnegut in Schlachthaus 5 zitiert. Natürlich hätte ich auch einen Satz aus Zeitbeben auswählen können, aber keiner davon trifft den Nagel so exakt auf den Kopf wie dieser hier. Und es ist außerdem ein Satz, der von einem Atheisten viel absurder klingt, als er tatsächlich ist: ›Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.‹
    Amen.«
    Ein paar Sekunden lang herrschte Stille. Ich hielt den Atem an. Ich wartete auf eine Bekanntmachung, die nicht kam. Stattdessen räusperte sich Mr. Peterson und sagte dann: »Als kleinen, aber wichtigen Nachtrag möchte ich mich bei Alex bedanken, weil er diese ganze Sache organisiert hat. Wenn irgendjemand nach all diesen Monaten noch immer der Meinung ist, dass ich irgendetwas damit zu tun hatte, möchte ich hier und heute ganz klar sagen: Dem war nicht so. Ich hielt die ganze Idee für völlig verrückt. Ich meinte, niemand würde kommen.

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