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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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weil alles nun ein Ende hatte, und meiner Erfahrung nach entstehen am Ende eines lange andauernden Projekts Emotionen, die häufig unterdrückt werden, selbst wenn das Ende nichts anderes als einen Erfolg oder einen krönenden Abschluss bedeutet. Etwas hing in der Luft wie ein dünner Nebel, und falls ich abwesend und niedergeschlagen wirkte, so fiel das an diesem Tag nicht so sehr auf wie an irgendeinem anderen. Darüber hinaus war es gar nicht mein Verhalten, das am meisten Anlass zum Staunen gab. Diese Ehre gebührte niemand anderem als Mr. Peterson selbst. An einem Nachmittag voll von atypischem Verhalten erwies sich seines als extrem atypisch. Natürlich kannte ich den Grund dafür – dachte ich jedenfalls –, aber ich hatte keine Ahnung, was die anderen von seiner plötzlichen Wandlung halten mochten.
    Mr. Peterson war niemand, der sich Sentimentalitäten hingab. Und genauso wenig war er ein Mensch, der sich mit langen Reden aufhielt. Aber an diesem Tag machte er klar, dass er der Letzte sein wollte, der etwas sagte, und dass er ziemlich weit ausholen würde. Es gebe, so meinte er, einige »philosophische« Themen, die ihm wichtig seien und die er ansprechen wolle, um die Dinge abzuschließen. (Dabei war Mr. Peterson gar nicht der philosophische Typ.) Während er sprach, dachte ich anfangs, er würde den anderen von seiner Krankheit erzählen. Alles schien darauf hinauszulaufen. Aber er sprach nichts direkt aus. Er blieb bei der Sache und konzentrierte sich auf Zeitbeben . Nur Dr. Enderby und ich wussten, dass er über sich selbst redete, über seine eigene Situation. Und auch wir verstanden ihn falsch; keiner von uns beiden ahnte, was er wirklich zu sagen versuchte.
    »Aus diversen Gründen«, setzte Mr. Peterson an, »habe ich relativ lange gebraucht, um dieses Buch zu lesen. Oder besser gesagt, wieder zu lesen, denn natürlich las ich es, als es damals erschien, vor etwa zehn Jahren, schätze ich. Und ich weiß noch, dass ich es damals für den respektlosesten von Vonneguts Romanen hielt. Eine großartige Lektüre, keine Frage, aber kein Buch, das sich selbst auch nur im Mindesten ernst nahm.
    Nachdem ich es dieses Mal viel langsamer gelesen habe, muss ich sagen, dass sich mein ursprünglicher Eindruck etwas gewandelt hat. Ich glaube, ich habe etwas begriffen, was ich natürlich schon längst hätte wissen sollen: Bei Vonnegut darf man keine Form von Respektlosigkeit wörtlich nehmen. Je lustiger der Scherz, je unbeschwerter der Ansatz, desto ernster ist der Hintergrund. Er schreibt es sogar mehrmals selbst, glaube ich: Gelächter, Geringschätzung, Absurdität – diese Dinge sind oft in tiefer Verzweiflung verwurzelt.
    Die Vorstellung, dass die Zeit plötzlich einen Looping macht und ein ganzes Jahrzehnt sich haargenau wiederholt, ist natürlich völlig absurd. Es ist eine Posse, und wie eine Posse wird es auch im Roman dargestellt. Es ist der Motor, der die Komik antreibt, aber nichts, was ernst genommen werden will. Das möchte man zumindest glauben. Denn als ich die Geschichte nun erneut las, passierte etwas Merkwürdiges. Ich merkte, dass ich diese Vorstellung doch ernst nahm. Und je weiter ich las, desto weniger possenhaft kam es mir vor.
    Was wäre, wenn man wirklich die vergangenen zehn Jahre noch einmal erleben müsste? Oder vielleicht sogar das ganze Leben? Diese Idee faszinierte mich so sehr, dass ich einige Recherchen anstellte. Ich weiß, das ist normalerweise eher Alex’ Spezialgebiet. Aber ich habe Folgendes herausgefunden:
    Vonnegut war nicht der Erste, der sich vorstellte, wie es wäre, wenn sich die Zeit um sich selbst drehen würde. Friedrich Nietzsche, der deutsche Philosoph, kam in einem seiner Bücher – Also sprach Zarathustra – etwa hundert Jahre früher auf fast dieselbe Idee. Nun ja, ich war niemals besonders an Philosophie als Wissenschaft interessiert. Ich war immer der Meinung, dass unsere Moral einem gewissen Bauchgefühl entspringt, und alles andere entweder gesunder Menschenverstand oder bloße Schönfärberei ist. Wenn man mir vor einem Monat das Wort »Zarathustra« um die Ohren gehauen hätte, hätte ich an Richard Strauss gedacht. Aber ich schweife ab. Ich möchte euch sagen, was Nietzsche in seinem Buch schreibt. Er schreibt, dass es kein Leben nach dem Tod in einem normalen, religiösen Sinn gibt. Keinen Himmel, keine Hölle, kein Fegefeuer. Aber es gibt auch nicht nichts. Wenn wir sterben, geht einfach alles wieder von vorne los. Wir leben unser ganzes Leben noch

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