Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
anderen Menschen erzählen würde. Er verstand sich gut mit Mrs. Griffith und Fiona Fitton. Es gab durchaus Leute, mit denen er hätte reden können, und ich war mir sicher, dass sie ihm beigestanden hätten, so gut sie konnten. Ich wusste auch, dass irgendwann – vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft – diese Art von Unterstützung von größter Wichtigkeit sein würde. Aber die Zukunft war ein Thema, das tabu war. Denn trotz all seiner Gelassenheit und seinem Gleichmut weigerte sich Mr. Peterson immer noch standhaft, irgendwelche Pläne zu machen oder Entscheidungen zu treffen. Das Krankenhaus hatte ihm verschiedene Behandlungsmöglichkeiten vorgeschlagen, aber er hatte sich noch zu keiner einzigen bereit erklärt. Die Informationsbroschüren, die man ihm geschickt hatte, waren – soweit ich das beurteilen konnte – noch immer ungelesen. Er sagte mir, dass er im Augenblick einfach nur von einem Tag zum nächsten leben wolle. Er beharrte auf seiner täglichen Routine, soweit diese noch möglich war. Als ich ihn darauf hinwies, dass Physiotherapeuten und Pflegekräfte Wartelisten hatten, dass man sich nicht einfach eintragen und damit rechnen könne, sofort behandelt zu werden, sagte er einfach, er sei noch nicht bereit, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Und ich solle es auch nicht tun.
Aber das war leichter gesagt als getan.
Irgendwann, da war ich mir sicher, würde die Zeit kommen, in der man sich nicht mehr an die Normalität klammern konnte. Früher oder später würde Mr. Peterson seine Unabhängigkeit aus den Händen genommen werden. Dr. Bradshaw hatte daran keinen Zweifel gelassen. Er musste anfangen, mit anderen Leuten darüber zu reden. Irgendwann würde er umfangreiche medizinische Betreuung und Pflege benötigen. Das Hinauszögern von Entscheidungen, ja, die strikte Weigerung, Pläne zu machen, würden ihm auch nicht helfen. Das war keine vernünftige Strategie. In einem Winkel meines Gehirns, irgendwo in einer dunklen Nische, keimte die Frage auf, ob Mr. Peterson wirklich so gut mit der Situation zurechtkam, wie Dr. Enderby und ich zunächst gedacht hatten.
Eine Zeit lang überlegte ich, ob ich Dr. Enderby auf einem unserer Treffen der Säkularen Kirche darauf ansprechen sollte, entschied mich aber dagegen. Ich wusste noch genau, was er gesagt hatte: dass wir Mr. Petersons Entscheidungen respektieren und ihm das Recht lassen müssten, seinen eigenen Weg zu gehen. Stattdessen redeten wir über mich. Dr. Enderby schien sich Sorgen zu machen, wie ich die Sache durchstehen würde. Ich sagte ihm die Wahrheit: Es gab gute Tage, und es gab schlechte Tage, aber meistens versuchte ich, positiv und konstruktiv zu denken. Ich hoffte das Beste und bereitete mich auf das Schlimmste vor. Dr. Enderby meinte, dies sei eine sinnvolle Taktik.
Ich sagte ihm nicht, wie meine Vorbereitungen auf das Schlimmste konkret aussahen.
Ich hatte mir Folgendes überlegt: Wenn Mr. Peterson noch eine Zeitspanne zwischen zwei und fünf Jahren blieb (wie meine Recherchen ergeben hatten), dann würde ich in jedem Fall meine Ausbildung unterbrechen müssen. Das wäre dann vermutlich irgendwann zwischen meinem Schulabschluss und dem Beginn meines Studiums, oder ich würde eine Auszeit von der Universität nehmen, je nachdem. Da er keine Familie hatte, stand es für mich außer Frage, dass ich derjenige sein würde, der seine Pflege übernahm. Das einzige Problem bei der Sache war, dass ich nicht wusste, wie er auf mein Vorhaben reagieren würde. Aber das war das Gute an seiner Weigerung, eigene Pläne zu machen. Dadurch hatte ich viel Zeit, gründlich über alles nachzudenken und bis ins Kleinste durchzuorganisieren. Wenn er irgendwann bereit war, sich den unausweichlichen Tatsachen zu stellen, dann konnte ich aus einem vollen Arsenal an Argumenten schöpfen.
Während sich in meinem Inneren dieses Drama abspielte, versuchte ich die ganze Zeit, nach außen hin locker und normal zu wirken, was mir nicht leichtfiel. Bei mehreren Gelegenheiten bei unserem letzten Treffen der Säkularen Kirche wünschte ich mir, ich wäre wie Dr. Enderby, der natürlich viel mehr Übung darin hatte, ein Geheimnis zu bewahren (weil er Arzt war), und der nie die Fassung verlor (weil er Buddhist war). Für mich fühlte sich mein ruhiges und gelassenes Äußeres wie eine Täuschung an; in so etwas war ich noch nie gut.
Was mich vermutlich rettete, war die Tatsache, dass sich an diesem Tag alle irgendwie merkwürdig benahmen. Das lag wohl daran,
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