Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
oder drei unterschiedlichen Impulsen gleichzeitig fertigzuwerden. »Ich will nicht sterben, Junge«, sagte er schließlich. »Niemand will sterben. Aber du weißt, was mir bevorsteht. Meine Zukunft steht schon geschrieben. Wenn ich mir das nicht antun will, gibt es nur einen Ausweg.«
Ich zählte meine Atemzüge, dann sagte ich: »Aber im Moment ist Ihr Leben doch gar nicht so übel. Es gibt immer noch Dinge, die Ihnen Freude machen. Catch-22 zum Beispiel. Oder Schuberts Symphonie Nr. 5 in b-Moll. Ihr Leben ist noch nicht so fürchterlich, und das wird vielleicht noch eine ganze Zeit so bleiben. Sie wissen nicht, wie lange Sie noch haben. Vielleicht noch zwei oder drei Jahre.«
»Vielleicht«, räumte Mr. Peterson ein und schwieg für einen Moment. »Du hast recht«, sagte er dann. »Im Augenblick habe ich noch ein lebenswertes Leben, und vielleicht habe ich das auch noch in sechs Monaten. Vielleicht noch in einem Jahr. Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass sich die Waagschale früher oder später nach unten bewegen wird. Früher oder später wird mein Leben für mich unerträglich sein. Und dann habe ich voraussichtlich keine Möglichkeit mehr, etwas dagegen zu tun. Dann bin ich vermutlich in einem Hospiz. Ich kann nicht mehr stehen oder sprechen, geschweige denn die nötigen Schritte unternehmen, allem ein Ende zu bereiten. Das ist unerträglich.«
»Aber was wäre, wenn es nicht so sein müsste?«, fragte ich leise.
»Aber so wird es sein. Das ist der Punkt.«
»Ich könnte mich um Sie kümmern.«
»Nein, könntest du nicht.«
»Ich könnte. Ich habe …«
»Du könntest nicht. Es wäre für uns beide die Hölle. Niemand wird sich um mich kümmern können. Nicht so, wie du es meinst.«
»Aber ich möchte es. Ehrlich. Ich habe darüber nachgedacht. Wenn es so weit ist, muss ich nicht mehr in die Schule. Ich meine, ich kann ein Jahr aussetzen und …«
»Junge, bitte. Glaub mir. Ich weiß, wovon ich rede. Das kommt gar nicht in Frage.«
Ich wartete und zählte wieder meine Atemzüge, diesmal viel länger. Ich war entschlossen, die Ruhe zu bewahren.
»Was kann ich sagen, damit Sie Ihre Meinung ändern?«, fragte ich schließlich.
»Gar nichts.«
Seine Stimme war wie Eisen. Mir war klar, dass wir in einer Sackgasse gelandet waren.
»Ich gehe jetzt wohl besser«, sagte ich. »Ich muss über einiges nachdenken, und dazu muss ich allein sein. Ich kann morgen wiederkommen, aber wie es danach weitergeht, weiß ich nicht. Meine Mutter will, dass ich am Montag wieder in die Schule gehe.«
»Deine Mutter hat recht. Du solltest wieder in die Schule gehen.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kann ja nachmittags zur Besuchszeit kommen.«
Mr. Peterson sah so aus, als wollte er mir das ausreden, aber nach einer Weile änderte sich sein Gesichtsausdruck, und schließlich nickte er.
Am nächsten Vormittag ging ich zu Ellie. Ich dachte, ich sollte mich bei ihr bedanken, weil sie Mr. Peterson den Kopf gewaschen hatte. Anfangs hielt ich es für einen Vorwand, aber dann merkte ich, dass ich es ernst meinte. Ich hatte sie seit jenem Nachmittag nicht mehr gesehen, und ich sollte mich wirklich bei ihr bedanken. Aber noch mehr brauchte ich jemanden, mit dem ich reden konnte, und in dieser Beziehung hatte ich nicht viel Auswahl. Über die Sache in der Abgeschiedenheit meines Kopfes nachzugrübeln, hatte mich bis zu einem gewissen Punkt gebracht, aber ich wusste, dass ich einige Dinge laut aussprechen musste, wenn ich über diesen Punkt hinausgehen wollte, und sei es nur, um zu hören, wie sie klangen. Allerdings erwartete ich mir von Ellie keinerlei konstruktiven Input. Es war eher so, dass ich an eine Grenze gestoßen war und jemanden brauchte, der mit mir um das Thema herumredete – so wie wenn man vor einem Problem steht, das sich jeder normalen Logik entzieht.
Es war kurz nach halb zwölf, als ich an die Außentür zur Wohnung klopfte, die auf der Hinterseite des Hauses lag. Eine Feuertreppe führte zu der Tür hinauf. Ich dachte, das sei eine anständige Zeit, um jemandem an einem Sonntag einen Besuch abzustatten, obwohl ich dabei nur auf Vermutungen angewiesen war. Denn da ich jeden Morgen um halb sieben aufstand – sowohl in der Woche als auch an Wochenenden – und auch meine Mutter eine Frühaufsteherin war, hatte ich keine genaue Vorstellung davon, wie es um die Schlafgewohnheiten anderer Leute bestellt war. Aber obwohl ich die Uhrzeit durchaus angemessen fand, musste ich zweimal laut klopfen, ehe Ellie
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