Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
an die Tür kam, und als ich sie sah, wurde mir klar, dass sie zwar wach, aber noch lange nicht aufgestanden war. Sie trug ein schwarzes T-Shirt und sehr kurze Shorts, ihre Haare standen nach allen Seiten ab. Sie hatte offensichtlich noch nicht die Möglichkeit gehabt – oder die Absicht –, sich zu kämmen. Ihr wütender Panda-Blick sagte mir, dass sie sich gestern Abend nicht abgeschminkt hatte und sie nicht erfreut war, mich zu sehen. Ich hatte sie auf dem falschen Fuß erwischt.
»Scheiße, Woods!«, stöhnte Ellie. »Weißt du, wie spät es ist?«
Ich schaute auf meine Armbanduhr, ehe mir dämmerte, dass es sich hierbei höchstwahrscheinlich um eine rhetorische Frage handelte. »Ich dachte, du wärst schon auf«, sagte ich entschuldigend.
»Ich stehe sonntags nie auf.«
»Oh.«
»Was willst du?«
»Nichts. Ich war nur auf dem Weg ins Krankenhaus und …«
»Ich kann dich nicht hinfahren. Ich habe den Wagen nicht. Ich dachte, dass du das mit deinem Superhirn begriffen hättest: Wenn deine Mutter ihn hat, kann ich ihn nicht haben.«
»Ja, das ist mir schon klar. Deshalb bin ich auch nicht hier. Ich fahre mit dem Bus. Aber ich dachte, dass …«
»Woods, verdammt noch mal! Ich friere mir hier den Arsch ab.«
»Ja, das merke ich. Vielleicht komme ich besser ein andermal …«
»Wenn du reinkommen willst, komm rein.«
»Ich will dich nicht stören, wenn du noch nicht aufgestanden bist.«
Noch ehe ich den Satz zu Ende gesagt hatte, tapste Ellie schon durch die Küche ins Wohnzimmer. »Du hast mich schon gestört, du Blödmann. Wenn du nicht reinkommst, bin ich ja völlig umsonst aufgestanden. Mach die Tür zu! Da draußen sind mindestens minus dreißig Grad.«
Es war November. Ich schätzte die tatsächliche Temperatur auf etwa acht oder neun Grad plus. Aber es lohnte sich wohl nicht, sie darauf hinzuweisen. Ich ging hinein, zog die Schuhe aus und machte die Tür zu.
Obwohl ich schon ein paar Mal in der Wohnung gewesen war, seit Ellie sie vor über einem Jahr übernommen hatte, war ich heute das erste Mal ohne meine Mutter hier, und unter diesen Umständen machte sie auf mich einen ganz anderen Eindruck. Die meisten Möbel waren natürlich dieselben, aber die gesamte Atmosphäre hatte sich verändert. Die Wohnung hatte viele der Eigenschaften ihrer Mieterin angenommen. Es war alles in allem sauber, aber dunkel und an einigen Stellen ziemlich unordentlich. Die Vorhänge waren geschlossen, und der Abwasch stapelte sich in der Spüle. Und überall lag Unterwäsche herum. Soweit ich das sehen konnte, hingen Schlüpfer und BHs auf jedem Heizkörper, den es in der Wohnung gab. Ellie versicherte mir, dass dies keine dauerhafte Dekoration war. Es war nur zufällig Waschtag. Aber wie Sie sich vorstellen können, war dieser Anblick für einen Besucher recht verstörend. Man konnte nirgends hinschauen, ohne einen dieser schwarzen Wimpel im Augenwinkel zu haben.
Eine andere Veränderung, die ich bemerkte, betraf die »Schachtel«. Der Raum schien nun eine Art begehbarer Kleiderschrank zu sein, obwohl der Begriff vielleicht ein bisschen zu pompös klingt. »Rumpelkammer« würde es wohl besser treffen.
»Weißt du, dass ich in dem Zimmer gewohnt habe?«, fragte ich Ellie, als wir im Wohnzimmer Platz genommen hatten, inmitten eines lawinengefährdeten Bergs aus CD-Hüllen und benutzten Kaffeetassen. »In der Schachtel, meine ich. Ein ganzes Jahr lang habe ich da drin gewohnt.«
Ellie rümpfte die Nase. »In welchem Zimmer?«
»In der Schachtel«, wiederholte ich und deutete in Richtung der Tür.
» Im Wandschrank? «
»Es war ein Arbeitszimmer«, korrigierte ich sie. »Dann war es ein Jahr lang mein Schlafzimmer, als meine Mutter und ich hier wohnten.«
»Scheiße, Woods! Das ist doch bloß ein popeliger Wandschrank!«
»Ich war damals erst elf, und es war gar nicht so übel. Meine Mutter fand die Idee auch nicht besonders gut, aber wir hatten keine andere Wahl. Das war die Zeit, als ich nicht in die Schule gehen konnte. Ich konnte das Haus nicht verlassen. Die Epilepsie war zu schlimm.«
Ellie schüttelte den Kopf. »Dein Leben ist eine Art völlig verdrehtes Märchen. Du solltest deine Biografie schreiben. Es wäre bestimmt ein Bestseller.«
»Autobiografie«, verbesserte ich.
»Was?«
»Eine Biografie ist, wenn man die Lebensgeschichte eines anderen schreibt. Wenn man die eigene schreibt, nennt man es Autobiografie.«
»Scheiß drauf. Willst du was trinken?«
»Hast du Cola light?«
»Ich habe
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