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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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Fall, dass Sie nicht in einem kleinen Dorf wohnen, muss ich Ihnen etwas erklären: In einem kleinen Dorf weiß jeder mindestens drei Dinge über jeden anderen, egal, wie zurückgezogen man auch lebt. Die drei Dinge, die man im Dorf über Mr. Peterson wusste, waren folgende:
    1.Eins seiner Beine war im Vietnamkrieg zerschmettert worden. Im Vietnamkrieg kämpften in den 1960er- und 1970er-Jahren Amerikaner auf der Seite von Südvietnam gegen die Nordvietnamesen.
    2.Seine Frau, eine Engländerin namens Rebecca Peterson, war vor drei Jahren nach langem Kampf an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben.
    3.Wegen der Umstände aus 1. und 2. war er nicht mehr bei klarem Verstand.
    Als mir meine Mutter die ersten beiden Tatsachen kundtat – die dritte konnte ich mir selbst daraus ableiten –, zerbröselten meine Hoffnungen, mit einem blauen Auge davonzukommen, zu Staub. Aufgrund von Mr. Petersons bemitleidenswerter Situation hatte ich keine Chance. Jemand musste für die mutwillige Zerstörung seines Gewächshauses büßen, und das war ganz offensichtlich ich.
    Was noch zu klären war, waren die genauen Rahmenbedingungen meiner Buße.
    Mr. Petersons Haus war das ideale Haus für einen Einsiedler. Es lag am Ende einer schmalen, gewundenen Gasse, mindestens zweihundert Meter von der Hauptstraße entfernt, und hatte eine lange Einfahrt, flankiert von fünfzigjährigen Pappeln, die wie Soldaten den einzigen Ein- und Ausgang bewachten. Den Bäumen und Büschen auf dem Grundstück hatte man erlaubt, bis weit über Kopfhöhe hinauszuwachsen, und durch das Fenster neben der Eingangstür konnte man nur ein paar Zentimeter der Fensterbank erkennen. Die Vorhänge waren geschlossen. Sie waren auch gestern geschlossen gewesen. Es sah nicht so aus, als ob sie jemals geöffnet wurden. Streifen aus Schmutz und Staub hatten sich in den Falten des Stoffs angesammelt. Ich rümpfte die Nase. Meine Mutter versetzte mir einen leichten Stoß ins Kreuz.
    »Autsch!«, protestierte ich.
    »Nicht trödeln, Lex.«
    »Tue ich doch gar nicht!«
    »Es wird nicht leichter, wenn du es hinauszögerst.«
    »Aber was ist, wenn er nicht gestört werden will?«
    »Sei kein Feigling.«
    »Ich meine doch bloß, dass wir vorher anrufen sollten.«
    »Das ist nicht nötig. Du bringst das jetzt in Ordnung.«
    Ein paar Schritte noch, und wir standen auf der überdachten Veranda.
    »Mach schon«, drängte meine Mutter. »Das ist deine Aufgabe.«
    Ich klopfte an die Tür, etwa so, wie eine hungergeschwächte Fliege anklopfen würde.
    Ein atemloser Moment verging.
    Meine Mutter schaute mich an, verdrehte die Augen und klopfte noch einmal. Es klang wie Donnergrollen.
    Sofort erhob sich lautes Gekläff im Inneren des Hauses. Ich erschrak dermaßen, dass ich regelrecht in die Höhe sprang.
    »Lex, immer mit der Ruhe! Es ist bloß ein Hund.«
    Was mich nicht wirklich beruhigte. Hunde waren mir schon immer unheimlich gewesen. Wir waren eine Katzen-Familie. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass Mr. Petersons Hund ein noch größerer Feigling war als ich. Er bellte immer nur dann, wenn er aus dem Schlaf gerissen wurde, und dieses Bellen war ein Ausdruck kläglicher Panik – instinktiv, hektisch und bar jeglicher Aggression. Aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich wusste nicht, dass dem Gebell ein hastiger Rückzug hinter das Sofa folgte. Ich dachte, dass der Hund der Baskervilles nach meinem Blut lechzte.
    Ein Licht ging an und warf einen schmalen Streifen Helligkeit durch das Milchglas über der Tür. Ich fühlte, wie sich die Hand meiner Mutter um meine Schulter krampfte. Mein moralisches Gewissen stand noch immer auf dem Prüfstand.
    Die Tür ging auf.
    Mr. Petersons steingraue Augen betrachteten mich über eine Lesebrille hinweg, zuckten dann kurz zu meiner Mutter und kehrten wieder zu meinem Gesicht zurück. Er wirkte nicht überrascht. Er wirkte auch nicht erfreut.
    Ich fühlte wieder einen Stoß, diesmal kurz oberhalb meines Steißbeins.
    »Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen und es wiedergutmachen«, platzte ich heraus. Es klang eingeübt. Es war eingeübt, aber das war nicht der Punkt. Der Punkt war, dass es glaubwürdig klingen sollte. Wenn ich den falschen Ton erwischte, konnte ich die Sache gleich vergessen.
    Mr. Peterson hob die Augenbrauen. Dann verzog er das Gesicht ein bisschen, sodass es einen leicht zerknautschten Eindruck machte.
    Ich wartete.
    Er trommelte mit den Fingern gegen den Türrahmen.
    Ich wartete immer noch.
    »Okay,

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