Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
konnte ich ihr die Namen meiner Verfolger nicht sagen. Das wäre einem Selbstmord gleichgekommen. Ich war sicher, dass nur mein Schweigen – zusammen mit der Drohung, dass ich dieses Schweigen möglicherweise brechen würde, wenn meine Peiniger es zu weit trieben – mein Überleben in den kommenden Wochen sicherte. Wenn man den drei Schlägern den Vandalismus nicht nachweisen konnte, würden sie es vermutlich gut sein lassen. Für den Augenblick – und vielleicht sogar für eine geraume Zeit in der Zukunft – mussten sie sich jemand anderen suchen, den sie piesacken konnten.
Zweitens durfte ich nichts von meinem Anfall erzählen. So wie die Dinge lagen, bestand sowieso die Gefahr, dass ich meine hart erkämpfte Freiheit wieder verlor. Wenn meine Mutter auch nur den leisesten Verdacht hegte, dass meine Epilepsie wieder zu ihrer anfänglichen Form zurückkehrte, würde sie mich in Ketten legen und rund um die Uhr überwachen. Ich würde die Samstage verlieren. Ich würde die Sonntage verlieren. Die Nachmittage nach der Schule. Wie sollte ich sie davon überzeugen, dass dies ein Einzelfall gewesen war, dass ich – obwohl die Beweislast dagegen sprach – ganz hervorragend mit dem strengen Regime aus Medikamenten und Meditationen zurechtkam?
Damit war meine Verteidigung von vornherein ruiniert. Was blieb, waren die unstrittigen Tatsachen: Einbruch, ein zerstörtes Gewächshaus und so wenig Schuldbewusstsein – oder himmelschreiende Dämlichkeit –, dass ich nicht einmal versucht hatte, unerkannt den Ort des Verbrechens zu verlassen.
Meine Mutter war entsetzt.
»Lex, wie konntest du nur?«, sagte sie.
»Ich sagte dir doch: Ich war’s nicht!«
»Ich habe dich nicht zu einem Menschen erzogen, der Spaß daran hat, Dinge zu zerstören. Ich habe dir Prinzipien beigebracht. Ich habe dich zu einem freundlichen, höflichen und liebevollen Menschen erzogen. Zu einem wahrheitsliebenden Menschen!«
»Ich habe Prinzipien!«
»Dein Verhalten sagt etwas anderes.«
»Aber das war nicht mein Verhalten.«
»Ja. Das hast du gesagt. Und ich würde dir gerne glauben, Lex, ganz ehrlich. Aber du gibst mir keinen Anlass dazu.«
»Nur, weil du mir nicht zuhörst!«
»Sag mir, wer deine Komplizen waren. Dann höre ich dir vielleicht zu.«
»Es waren nicht meine Komplizen . Ich habe mit dem, was sie gemacht haben, nichts zu tun.«
»Wenn du sie schützt, wirst du automatisch zu ihrem Komplizen. Dann bist du genauso schuldig wie sie.«
Stirnrunzelnd blickte ich zu Boden und versuchte, gegen die Logik dieses Arguments anzukommen.
»Sag mir, wer es war«, verlangte meine Mutter noch einmal.
»Das habe ich schon. Es waren nur ein paar Jungen aus dem Dorf.«
»Namen, Lex. Ich will Namen.«
»Ihre Namen sind nicht wichtig. Hauptsache ist doch, dass sie Schuld haben, nicht ich.«
»Lex, es ist wirklich ganz einfach. Wenn du mir nicht sagst, welche deiner Freunde das gemacht haben, wirst du dafür zur Verantwortung gezogen werden.«
»Das sind nicht meine Freunde! Kapierst du eigentlich gar nichts?«
»Werde bloß nicht frech! Sag mir, wer sie sind!«
»Frag doch deine Karten«, sagte ich patzig.
Meine Mutter schwieg und schaute mich nur an. Ich konnte ihren Blick nicht ertragen. Sie sah nicht wütend aus. Nur verletzt.
Ich starrte zu Boden. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich jetzt, nach einem fünfminütigen Streit mit meiner Mutter, gar nicht mehr unschuldig. Ich fühlte mich tatsächlich wie ein Komplize.
»Ich möchte dir etwas sagen, Lex«, fuhr meine Mutter schließlich fort. »Ich bin zwar nicht sicher, ob dir das irgendetwas bedeutet, aber ich möchte, dass du mir zuhörst. Und ich möchte, dass du gründlich nachdenkst, bevor du irgendetwas dazu sagst.
Isaac Peterson ist kein gesunder Mann. Er ist alt, und er ist krank. Und er ist ganz allein auf dieser Welt. Kannst du dir vorstellen, wie das ist?«
Ich wusste ganz genau, was meine Mutter vorhatte: Sie wollte mir Schuldgefühle einreden. So krank war Mr. Peterson gar nicht. Sein lahmes Bein machte ihn ein bisschen langsam, aber nicht gebrechlich. Und was sein Alter betraf – ja, er war fast doppelt so alt wie meine Mutter, aber er war nicht annähernd so alt wie etwa Mr. Stapleton, der bestimmt schon auf die hundert zuging. Die einzige unstrittige Tatsache in der Darstellung meiner Mutter war die Aussage, dass er allein auf der Welt war, und das machte meine angebliche Zerstörung seines Gewächshauses zu einem besonders widerwärtigen Vergehen.
Für den
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