Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
Vom Netzwerk:
Ich war völlig orientierungslos. Ich versuchte, mich zu konzentrieren, aber in der Hütte roch es nach Marzipan und Kreosot, und das hinderte meinen Geist daran, klar zu denken. Es war zu spät, um irgendwo hinzugehen. An diesem Punkt angelangt, würde jede Bewegung die Sache nur verschlimmern. Ich musste ganz ruhig dasitzen und meine Übungen machen. Ich sah Streitwagen vor mir und sich aufbäumende Pferde. Ich versuchte zu atmen. Ich fing an, Primzahlen aufzusagen. Ich sah Amseln ihre Kreise ziehen. Ich war völlig erschöpft.
    Ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit verging, aber als ich aus meinem Traum wieder zu mir kam, hatte sich die Atmosphäre verändert. Etwas hatte mich aufgeweckt. Ein Luftstrom durchschnitt das Kreosot; die Tür des Schuppens war aufgestoßen worden, und im Türrahmen stand eine Gestalt – eine Silhouette, eingerahmt vom Licht der tief stehenden Sonne.
    Es war ein Mann. Ein Mann ragte im Türrahmen auf, und er hatte einen Stock auf mich gerichtet, einen langen Stock, der zylindrisch geformt war. Der Stock schimmerte matt im Dämmerlicht. Das Herz klopfte mir bis zum Hals.
    Der Mann zielte mit einem Gewehr auf mich.

8 Buße
    »Nicht schießen!«, japste ich und hob beide Hände hoch über den Kopf. »Ich bin Epileptiker«, fügte ich hinzu. Ich weiß nicht, warum ich das sagte. Vielleicht dachte ich in meinem durchweichten Hirn, ich würde damit alles erklären können, vielleicht wollte ich aber auch nur um Nachsicht bitten.
    Der schmale Gewehrlauf blieb unbeirrt auf mich gerichtet.
    Es fühlte sich an, als würden Eiskristalle in meinem Inneren wachsen. Meine Augen tränten, sodass ich alles verschwommen sah und die Konturen des bevorstehenden Unheils nur noch undeutlich erkennen konnte. Dann blitzte plötzlich etwas orange vor dem dunklen Hintergrund auf. Ich erwartete einen Knall und eine Kugel, den trockenen Geruch von Schießpulver. Stattdessen knisterte es nur leicht, und es roch intensiv nach Petersilie. Ich dachte schon, ich bekäme wieder einen Anfall.
    »Also«, sagte mein Henker, »sagst du mir jetzt gefälligst, was im Namen von Jesus Fucking Christ du in meinem Schuppen zu suchen hast?«
    Ich war gar nicht überrascht, dass er mit einem breiten amerikanischen Akzent sprach. In dem Fiebertraum, den mein Geist zusammengesponnen hatte – inspiriert von Hollywood und blinder Panik –, kam es mir nur logisch vor, dass ich von einem Cowboy ermordet wurde. Und mir blieb bestimmt keine Zeit, mir Gedanken über Jesus’ zweiten Vornamen zu machen.
    »Nun?«, sagte die Stimme auffordernd. »Was ist los? Hast du deine Zunge verschluckt?«
    »Ausgeruht!«, quiekte ich. »Ich habe mich bloß ausgeruht.«
    Daraufhin erklang ein kurzes, scharfes Schnauben, wie das warnende Knurren eines wütenden Hundes. »Tja, ich schätze, mein Glashaus zu demolieren, war ganz schön anstrengend für dich, was?«
    Ich sagte nichts. In einer Krise kann ich meinem Gehirn einfach nicht trauen.
    »Bist du jetzt fertig mit Ausruhen, Junge? Willst du rauskommen, damit wir reden können? Oder soll ich später wiederkommen?«
    Ich wog meine Möglichkeiten ab und entschied, dass ich lieber aufrecht im Sonnenlicht stehend sterben wollte als zusammengerollt in der Dunkelheit. Aber als ich versuchte, mich hochzuhieven, knickten meine Beine unter mir weg. Ich gab es auf und vergrub den Kopf in meinen Armen.
    »Wenn Sie mich umbringen wollen«, sagte ich weinerlich, »dann machen Sie es besser gleich.«
    »Wovon zur Hölle redest du da, Junge?« Der Cowboy zog wieder an seiner Petersilienzigarette. »Was ist hier eigentlich los? Bist du ein bisschen wirr im Kopf oder was?«
    Ich nickte heftig.
    »Auf jetzt – hoch mit dir!«
    Der Cowboy trat zurück ins Sonnenlicht und gab die Tür frei, damit ich herauskommen konnte. Er senkte seine Waffe – die sich in das zurückverwandelte, was sie die ganze Zeit gewesen war: eine etwa einen Meter zwanzig lange Aluminiumstange mit einem grauen Plastikgriff. Eine Krücke.
    Das Eis schmolz. Ich spürte meine Glieder wieder, und mit einem Atemzug, der die Erleichterung in jede Körperzelle trug, stand ich auf und taumelte ins Licht, wiedergeboren und bereit, jede Strafe auf mich zu nehmen.
    Angst verzerrt die Welt. Angst lässt uns Dämonen sehen, wo es nur Schatten gibt. Das war die Lektion, die ich daraus gelernt habe.
    Der Mann, der mich aufgespürt hatte, war kein dunkler Bösewicht, wie ihn meine Vorstellungskraft hatte erscheinen lassen. Er stützte sich schwer auf seine

Weitere Kostenlose Bücher