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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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Krücke und hinkte deutlich mit seinem rechten Bein. Er war hager und drahtig. Sein Gesicht war bleich und ausgemergelt, mit silbrigen, struppigen Bartstoppeln. An den Schläfen wuchsen noch Haarbüschel, oben auf dem Schädel dagegen kaum noch. Er war alt. Das Einzige, was zu der schneidenden Autorität passte, die ich mir in der Dunkelheit zusammenfantasiert hatte, waren seine Augen – scharf und steingrau – und seine Stimme, die hart und grimmig klang.
    »Du wirst doch nicht abhauen, Junge, oder?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Kann ich mich drauf verlassen?«
    Ich nickte, immer noch stumm.
    Er deutete mit der Krücke auf mich. »Hast du irgendwas bei dir, was dir nicht gehört?«
    Ich starrte ihn verständnislos an.
    »In der Tasche, Junge. Was ist in der Tasche?«
    Ich senkte den Blick. Ich hielt immer noch die Jutetasche meiner Mutter in der Hand. Schützend drückte ich sie gegen meine Brust. »Katzenkekse!«, sprudelte ich hervor. »Katzenkekse, eine Zeitschrift und ein paar Trauben. Gehört alles mir. Sie können es überprüfen. Ich bin kein Dieb!«
    »Bloß ein Rowdy, was?«
    Der alte Mann schaute mich eindringlich an, schüttelte den Kopf und ließ seine Zigarette zu Boden fallen. Mit dem linken Fuß trat er sie aus.
    »Weißt du, ich habe schon ziemlich viele dämliche Sachen in meinem Leben gesehen, aber das ist vermutlich die dämlichste. Ich weiß, dass Zerstörungswut und Vernunft selten Hand in Hand gehen, aber diese ganze Sache ist mir ein absolutes Rätsel.« Er deutete mit der Krücke zunächst auf das Gewächshaus, dann auf den Schuppen. »Vermutlich verschwende ich bloß meine Zeit, wenn ich dich frage, aber es würde mich doch interessieren, ob du eine Erklärung dafür hast.«
    »Ich war das nicht«, sagte ich.
    »Ach so. Wer dann?«
    »Ein paar andere Jungs.«
    »Welche Jungs?«
    Ich schluckte. »Bloß irgendwelche Jungs. Sie waren hinter mir her.«
    »Alles klar. Und wo sind sie jetzt?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Haben sich wohl in Luft aufgelöst, was?«
    »Wahrscheinlich sind sie wieder durch die Hecke.«
    Wir beide schauten zu der Hecke, die sich wie eine undurchdringliche graugrüne Mauer auftürmte.
    »Deine Freunde müssen ja wahre Houdinis sein«, sagte der alte Mann.
    »Das sind nicht meine Freunde!«, widersprach ich.
    Er schaute mich eine ganze Weile an und schüttelte dann wieder den Kopf.
    »Hast du auch einen Namen, Junge?«
    »Alex«, sagte ich, sehr leise.
    »Nur Alex?«
    »Das ist die Abkürzung für Alexander«, erklärte ich.
    Der Mann schnalzte mit der Zunge und runzelte die Stirn. »Wer ist dein Vater, Junge?«
    »Ich habe keinen Vater.«
    »So so, eine unbefleckte Empfängnis, was?«
    Glücklicherweise wusste ich mit dieser Bemerkung etwas anzufangen. Es war sarkastisch gemeint. Er wollte damit andeuten, dass ich wie Jesus war – nicht das Resultat von Geschlechtsverkehr, der in der Bibel immer als schreckliche Sünde dargestellt wurde.
    »So habe ich das nicht gemeint«, sagte ich. »Ich habe einen Vater, aber meine Mutter weiß nicht genau, wer er war. Ich wurde ganz normal gezeugt. Irgendwo in der Nähe von Stonehenge«, erklärte ich.
    »Deine Mutter lässt wohl nichts anbrennen, was?«
    »Sie lebt jetzt im Zölibat«, sagte ich.
    »Okay, das ist ja alles sehr interessant, aber lassen wir den Scheiß mal beiseite. Wer ist deine Mutter, Junge? Ich will ihren Namen wissen. Ihren Vor- und ihren Nachnamen.«
    »Rowena Woods«, sagte ich.
    Diese Offenbarung führte zu einem ungläubigen Blinzeln und einem weiteren kurzen, knurrenden Lachen. »Gott verdammich! Der Junge bist du?«
    Abgesehen von dem Fluch war dies eine mir durchaus geläufige Reaktion, wenn ein Fremder herausfand, wer ich war.
    Der alte Mann hatte seinen Kopf schräg gelegt, und ich sah, dass er die weiße Linie auf meiner rechten Schläfe sehr genau betrachtete, wo meine Haare immer noch nicht nachwuchsen.
    Ich wartete geduldig.
    Der alte Mann atmete aus und schüttelte noch einmal den Kopf.
    »Wo ist deine Mom jetzt?«, fragte er. »Ist sie zu Hause?«
    »Sie arbeitet«, sagte ich.
    »Okay. Dann sag mir, wann sie heimkommt.«
    Ich schaute auf die Glassplitter, die den Boden bedeckten, und biss mir auf die Lippe.
    An dieser Stelle sollte ich etwas erklären.
    Es gab zwei Dinge, die ich meiner Mutter über diesen Samstag nicht erzählen konnte. Unglücklicherweise waren es genau die beiden Dinge – die beiden einzigen Dinge –, die meiner Geschichte Glaubwürdigkeit verliehen.
    Erstens

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