Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
anonymen Männer sich plötzlich als mein unbekannter Vater offenbarte. In einigen Versionen dieser Vorstellung hatte mich der Mann vorher absichtlich im Geheimen beobachtet, ehe er sich zu erkennen gab. In anderen Versionen tauchte er durch puren Zufall auf; erst, wenn er von dem Buch, das er zu kaufen wünschte, aufblickte, erkannte er mich oder manchmal auch meine Mutter – oder sie würde ihn erkennen, ganz plötzlich und immer mit einem dramatischen Anhalten des Atems.
Erst als ich ein bisschen älter war, wurden mir die verschiedenen Schwierigkeiten und Unwahrscheinlichkeiten dieses Tagtraums bewusst. Zum einen war kaum damit zu rechnen, dass mein Vater von meiner Existenz wusste oder auch nur einen Verdacht hegte. Ich hatte auch Grund zu der Annahme, dass sich meine Eltern nach so vielen Jahren nicht einmal mehr erkennen würden. Als ich meine Mutter nach Informationen bezüglich ihres Verhältnisses befragte, antwortete sie mit Begriffen wie »kurz« und »zweckmäßig«. Ich hatte herausfinden können, dass ihre Affäre die Morgendämmerung der Wintersonnenwende nicht überlebt hatte, und meiner Mutter war es sowieso nur um den Aspekt der Fortpflanzung gegangen. Alles, was sie mir über meinen Vater sagen konnte, war, dass er gesund war (oder zumindest so gewirkt hatte) und potent (offensichtlich). Und nachdem sie diese Tatsachen bestätigt gesehen hatte, war alles andere überflüssiges Beiwerk. Sie hatte keinen großen Wert auf etwas so Abstraktes wie sein Aussehen und seinen Charakter gelegt, und nichts von ihm war ihr im Gedächtnis geblieben. Ohne meiner Mutter zu nahe treten zu wollen – ich glaube nicht, dass es ihr ein paar Monate nach ihrer Vereinigung gelungen wäre, ihn bei einer Gegenüberstellung wiederzuerkennen. Selbst wenn sie nur zwischen drei Männern hätte wählen können.
Obwohl meine Kindheitsfantasien nach einer Weile ihren Glanz verloren, hielt mich die Vorstellung von meinem Vater noch eine ganze Weile in ihrem Bann. Ich hatte mir ein Bild gemacht, wie mein Vater aussehen und sich benehmen würde, ein Bild, das auf keinerlei Tatsachen beruhte. Ich stellte ihn mir als eine Art Tom Bombadil vor, mit Stiefeln und einem Bart, voller Liebe für den Wald und seine Unabhängigkeit. Die meisten der verdächtig aussehenden Männer, die den Laden meiner Mutter betraten, schienen diesem Profil zu entsprechen, aber ich muss dazu sagen, dass solche Exemplare eher die Seltenheit waren. Ich musste Glück haben, um mehr als zwei in der Woche zu Gesicht zu bekommen, und wenn sie wieder gegangen waren, kehrte die Langeweile zurück.
Unglücklicherweise hatte ich keine Chance, meine Einkerkerung zu verkürzen – jedenfalls nicht, ohne meine Schuld einzugestehen und überzeugend und ausgiebig Reue zur Schau zu stellen. Meine Mutter verlangte von mir, mich schriftlich bei Mr. Treadstone, Drake Mackenzie (und wahrscheinlich auch bei dem mürrischen Busfahrer) zu entschuldigen – selbst nachdem ich ihr ganz genau bis (fast) ins kleinste Detail dargelegt hatte, was der Grund für mein Verhalten und meine Wortwahl gewesen war. Wir hatten immer wieder das gleiche Gespräch; es war, als würden wir uns im Kreis drehen. Ich sagte meiner Mutter, dass ich mich nicht schuldig fühlte, weil meine Worte und Taten (wie unangenehm sie auch sein mochten) durch die Umstände gerechtfertigt wurden, und aus diesem Grund war ich nicht bereit, mich bei irgendjemandem zu entschuldigen. Lieber würde ich sterben. Meine Mutter blieb dabei, dass ich mich ohne Umschweife entschuldigen würde, wenn ich erst einsah, wie ernst und abscheulich mein Verhalten gewesen war. Das war für sie gar keine Frage. In ihren Augen war ich bloß stur und tat so, als würde ich es nicht begreifen.
»Ich glaube nicht, dass dir klar ist, wie beleidigend dieses Wort ist«, sagte meine Mutter eines Nachmittags zu mir, als wir wieder einmal darauf zu sprechen kamen. »Wenn es das wäre, hättest du es nie in den Mund genommen.«
»Ich weiß genau, wie beleidigend es ist«, versicherte ich ihr.
»Nein, weißt du nicht! Ganz offensichtlich nicht. Also wirklich, Lex, ich weiß nicht, was schlimmer ist: dass du es überhaupt gesagt hast oder dass du dich weigerst anzuerkennen, wie schlimm es ist.«
»Ich weiß, wie schlimm es ist! Es ist das schlimmste Wort auf der ganzen Welt. Jeder weiß das. Deshalb habe ich es ja benutzt. Ich habe es nicht einfach grundlos so gesagt.«
»Du solltest niemanden so beschimpfen. Niemals! Es ist mir egal, wie
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