Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
Wächter-Pappeln vorbeikam, schlug mir das Herz bis zum Hals. Und als die Tür aufging, waren alle eloquenten Worte so ausgestorben wie der Dodo.
»Ich habe Ihr Buch verloren«, platzte ich heraus. Es war ein so schrecklicher, unpassender Satz. Aber was hätte ich sonst sagen können? Ich hatte nicht das Talent meiner Mutter, schlechte Nachrichten schönzureden. Ich wollte die Worte einfach nur herausbringen, ehe mich mein Mut gänzlich verließ.
»Du hast es verloren?« Mr. Peterson wirkte erschüttert.
Ich nickte. Meine Stimme war wie gelähmt.
»Du hast es verloren ?«
»Ja, ich …«
»Du wusstest doch, was mir dieses Buch bedeutet!« Mr. Peterson hielt seinen Kopf in den Händen, als hätte er Migräne.
»Es war nicht meine Schuld!«, jammerte ich. »Ich war im Schulbus und …«
»Im Schulbus? Du hast es in den Schulbus mitgenommen?«
Und da wurde mir klar, wie unverantwortlich ich gewesen war. Ich gab auf, so zu tun, als hätte irgendjemand außer mir daran schuld.
»Es tut mir so unsagbar leid«, sagte ich. »Ich weiß, das ist nicht genug. Ich weiß, dass ich es nicht ersetzen kann …«
»Nein, das kannst du nicht! Herrgott noch mal! Ich bin so ein Idiot!«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Geh nach Hause, Junge«, sagte Mr. Peterson schließlich. »Ich möchte dich im Moment nicht sehen.«
Ich dachte keinen Augenblick lang daran zu bleiben und zu versuchen, alles zu erklären. Ich drehte mich um und rannte weg. Und ich hörte erst auf zu rennen, als ich wieder zu Hause war.
12 Piercing
Die nächsten acht Wochen, bis zu den Sommerferien, stand ich wieder unter der schlimmsten Form von Hausarrest – in allen Dingen gelenkt von meiner Mutter. Nach drei Vergehen hintereinander (Vandalismus, Prügelei, das Wort), konnte man mir nicht länger die Verantwortung für meine eigene Buße übertragen. Sie ließ mich kaum noch aus den Augen. Jeden Morgen fuhr sie mich zur Schule, und jeden Nachmittag holte sie mich auch wieder ab. Meistens kam sie selbst, aber manchmal schickte sie auch Justine, und ein- oder zweimal ließ sich sogar Sam breitschlagen, mich aufzusammeln. Es war sehr lästig für alle Beteiligten. Nicht, dass sich Justine oder Sam jemals beklagten – sie waren immer sehr geduldig mit mir –, aber ich merkte genau, dass sie mich so schnell wie möglich wieder loswerden wollten. Und wenn die Sprache auf meine diversen Vergehen und mein Fehlverhalten kam, sah ich mich einer solidarischen Front gegenüber.
»Du weißt doch, dass Prügeleien selten etwas bewirken«, sagte Justine. »Das macht die Dinge nur noch schlimmer.«
»Ja, ich weiß«, sagte ich.
»Und das Wort, das du benutzt hast«, ergänzte Justine und runzelte die Nase. »Das Wort ist sehr beleidigend. Besonders Frauen gegenüber.« Und an der Heftigkeit ihrer Behauptung erkannte ich, dass das, was für Frauen im Allgemeinen schlimm war, für Lesbierinnen doppelt schrecklich war – obwohl ich diese Logik in hundert Jahren nicht begreifen werde.
Natürlich hatte mich meine Mutter schon ausgiebig über die Widerwärtigkeit dieses Wortes belehrt. Das Gleiche galt
für Sam, die normalerweise solche Sachen nicht so eng sah.
»Es ist ein vulgäres, abscheuliches männliches Wort«, sagte Sam, was mich ein bisschen verwirrte.
»Was ist denn ein männliches Wort?«, fragte ich.
Sam schaute mich ein paar Sekunden lang an, als wolle sie abschätzen, ob ich mich dumm stellte oder es tatsächlich war. »Du weißt doch, was das Wort bedeutet, oder?«, sagte sie dann.
»Natürlich weiß ich, was es bedeutet.« Ich durchforstete meinen mentalen Thesaurus, verwarf alle möglichen Erklärungsversuche und sagte dann: »Es bezieht sich auf den Körperteil einer Frau, wo die Babys rauskommen.«
»Genau! Und du verstehst doch, warum das so erniedrigend ist, nicht wahr? Du verstehst, warum es so beleidigend ist?«
Ich dachte darüber nach. »Nein, eigentlich nicht«, erklärte ich schließlich. »Ich habe es ja in einem ganz anderen Zusammenhang benutzt. Außerdem glaube ich, das Beleidigende an der Sache ist nicht das Wort selbst, sondern die beleidigende Bedeutung, die es hat.«
Sam ließ mich diesen Satz wiederholen, meinte dann, ich sei pedantisch und pflege ein sexistisches Gedankengut. Das kränkte mich.
»Ich kann nichts dafür, dass es das schlimmste Schimpfwort auf der Welt ist«, sagte ich.
Nachdem man mich von der Schule abgeholt hatte, durfte ich nicht allein zu Hause bleiben. Stattdessen musste ich zwei Stunden im
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