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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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einem riesigen, rechteckigen Podest. Meine Kinnlade klappte herunter, zwar nicht bis ganz auf den Boden, aber weit genug, um meinem Gesicht einen blöden Ausdruck zu geben, und weil meine Aufmerksamkeit ganz woanders war, geriet mein Händedruck schlaff und leblos und wurde von keinem nennenswerten Augenkontakt begleitet. Es ist eine Schande, denn normalerweise gehört mein Händedruck zu meinen Stärken. Glücklicherweise verzieh mir Dr. Lean meine Unhöflichkeit. Er meinte, er würde mich gerne herumführen, nachdem wir im Tresor gewesen seien – so hieß die Galerie, wo die Meteoriten und die kostbaren Steine ausgestellt waren.
    »Wenn Sie mir bitte folgen würden«, sagte Dr. Lean. »Es ist im Zwischengeschoss. Die Treppe hinauf und bei Darwin rechts.«
    Mit Darwin war natürlich Charles Darwin gemeint. Er saß auf dem ersten Absatz der mächtigen Treppe, in Form einer zwei Tonnen schweren Marmorstatue, und schien mit seinen ernsten, klugen Augen die Eingangshalle zu überwachen. Er sah so aus wie immer, wie ein Arzt, der schlechte Neuigkeiten für seinen Patienten hat, irgendwie tollpatschig in seinem zerknitterten viktorianischen Anzug und augenscheinlich ohne großes Verlangen nach dem Rampenlicht. Um die Wahrheit zu sagen, sah er ganz so aus, als hätte er lieber Regenwürmer im Garten hinter seinem Haus aus der Erde gebuddelt – obwohl er in einer solchen Pose vermutlich eine sehr merkwürdige Statue abgegeben hätte.
    Der Tresor lag am Ende der Mineraliengalerie. Es war berauschend: überall, auf den Steinsäulen, unter den Bögen und in den niedrigen Glaskästen mit ihren Eichenholzrahmen funkelten Juwelen: Gold, Saphire und Smaragde und ein Diamant von der Größe eines Golfballs. In dieser Gesellschaft konnte man die Meteoriten zunächst leicht übersehen. Sie hatten alle möglichen unregelmäßigen Formen und Größen, und ihre Farbe variierte von Kohlschwarz bis zu einem gefleckten Karamell. Den unspektakulärsten Anblick bot der Nakhla-Meteorit, der aussah wie ein ungeschickt zusammengepresster Haufen Ton. Dr. Lean erklärte mir, dies sei ein Stück vom Mars. Der eigentliche Meteoroid war vermutlich bei einem gewaltigen Einschlag auf der Oberfläche des roten Planeten in den Weltraum geschleudert worden.
    Er war 1911 zur Erde gefallen und hatte hoch am Himmel über Ägypten gebrannt. Dort waren später die Überbleibsel geborgen worden. Die meisten anderen Meteoriten, jene, deren Fallen nicht beobachtet worden war, hatte man an Orten wie der Antarktis oder in Australien gefunden – in einförmigen Landschaften, weitgehend von Menschen unberührt, wo selbst ein ungeübter Beobachter sie als geologische Auffälligkeit entdecken konnte. Da die Erde seit etwa viereinhalb Milliarden Jahren einem ständigen Bombardement aus dem All ausgesetzt war, lagen natürlich überall Meteoriten herum – nur blieben sie an den meisten Orten unbemerkt.
    »Nicht bei jedem fallen die Meteoriten durchs Dach«, bemerkte Dr. Lean.
    Mein Meteorit sollte auf einem Platz von etwa einem halben Kubikmeter präsentiert werden, ganz rechts in einer der Glasvitrinen, die an der Wand hingen. Seine Mitarbeiter, so erklärte Dr. Lean, hatten auch einen Zeitungsartikel ausgewählt, der dem allgemeinen Publikum die historische Bedeutung des Meteoriten ins Gedächtnis rufen sollte. Der Artikel, der sich auch in meiner Sammlung befand, war auf der Titelseite der Times erschienen und mit einem sehr dramatischen Foto bebildert – einer Aufnahme, die das Loch in unserem Dach vom Hubschrauber aus zeigte. Die Überschrift lautete: » Schüler aus Somerset von Meteor getroffen .«
    »Es war der am wenigsten sensationsheischende Artikel, den wir finden konnten«, sagte Dr. Lean.
    Dies war der Moment, in dem ich die Sache nicht mehr länger hinauszögern konnte. Ich holte meinen Eisen-Nickel-Meteoriten, dick eingewickelt in zwei Lagen Luftpolsterfolie, aus dem Rucksack und reichte Dr. Lean den Klumpen, damit er ihn auspacken konnte.
    »Meine Güte«, murmelte er. Er sah plötzlich zwanzig Jahre jünger aus, fand ich, wie er dastand und die versengte und zerklüftete Oberfläche des Meteoriten mit den Augen verschlang. Ich folgte seinem Blick über die vertrauten Erhebungen, Risse und Täler, über die Mikrofrakturen, die sich durch den teilweise freiliegenden Querschnitt zogen. Und ich darf Ihnen versichern, dass ich keinerlei Trennungsschmerz empfand. Nachdem ich den Tresor gesehen hatte und all diese unschätzbaren Juwelen und Mineralien,

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