Das Ungeheuer von Florenz
geredet – zumindest als man ihn selber als das Ungeheuer verhaftete. Wenn sich jemand gegen eine solche Anschuldigung nicht verteidigt, dann nur aus dem einen Grund, daß ihm eine neue Anklage blüht, wenn er sagt, was er weiß. Und in seinem Alter spielt es keine Rolle mehr, ob er einmal lebenslänglich kriegt oder sechzehn Jahre. Nein, er wollte Belinda aus dem Weg schaffen, weil sie das Geld der Familie durchgebracht hatte. Er war hinter dem Geld von der Versicherung her. Aber trotzdem, eine Waffe hatte er nicht. Auf ihre Art waren die Muscas angesehene Leute. Arbeiter. Ein Auto hatten sie auch nicht. Was ist mit Silvano?«
Der Maresciallo dachte eine Weile nach, und als Ferrini sich eine Zigarette anzündete, wünschte er sich, daß er wenigstens bis nach dem Essen gewartet hätte. Das sagte er aber nicht. »Silvano stand im Schilf, ich glaube, das stimmt. Ich bin sicher, daß er sie erschossen hat. Aber es ist komplizierter, und deshalb müßte man den Mann mal sehen. Gütiger Himmel – was ist das denn?«
»Das« war ein dicker Rostbraten Florentiner Art, schon vom Knochen gelöst und eingeschnitten und von Sandro auf einer Platte herbeigetragen.
»Wir können doch…«
»Kommt vom Chef«, erwiderte Sandro und stellte die Platte ab. »Grüner Salat ist schon unterwegs, Pommes frites ebenfalls. Mögen Sie Perlzwiebeln, in Essig eingelegt?«
Die beiden Männer sahen einander an. Ferrini lachte leise.
»Ist wohl das beste, wenn wir uns anstandslos fügen. Sie kennen Dante nicht – ich weiß noch, als ich das erste Mal hier gegessen habe, ich hatte damals gerade den Fall…«
»Silvano«, fiel ihm der Maresciallo beherzt ins Wort, während er ein großes Stück Fleisch mit der Gabel aufspießte, »war wütend auf Belinda, weil sie für einen normalen Mann aus der ménage à trois ausgestiegen war. Aber ich wette, gesagt hat er das nicht. Ich habe das bei dem Mann im Gefühl. Ich glaube, er konnte andere Menschen gut manipulieren, und ich bin sogar bereit zu wetten, daß er der Familie Muscas angeboten hat, den Job aus Gefälligkeit zu übernehmen.«
»Sie könnten recht haben. Silvano ist ein schlauer Fuchs und dabei kühl und berechnend. Bei seinen sexuellen Neigungen komme ich zwar nicht mit – ach, sieht das gut aus, hier, nehmen Sie zuerst… Gestern hatte ich ein vertrauliches Gespräch mit einem meiner Kollegen. Sie kennen ihn nicht, aber er hat 1984 an dem Fall mitgearbeitet, als Silvano Hauptverdächtiger war, und er hat mir ein paar Sachen erzählt, die bei der Beschattung Silvanos herausgekommen waren. Der Kerl hat Lastwagenfahrer an den Autobahnausfahrten aufgegabelt und sie gleich an Ort und Stelle mit in den geparkten Lastwagen genommen. Ich weiß zwar nicht, wie das gehen soll, aber solche und andere Vorfälle gab es bei ihm jeden Tag. Seine andere Spezialität, die Orgien, bekamen unsere Leute aber nie zu sehen. Die fanden gewöhnlich bei ihm zu Hause statt. Zu viert.«
»Aber hatte er nicht einen Sohn?«
»Ich spreche von den achtziger Jahren. Der Junge ist mit vierzehn oder fünfzehn von zu Hause fort, was einen ja nicht wundert. Und Silvano war es sowieso egal. Das ging schon so, als der Junge noch klein war. Er hat uns davon erzählt, als wir ihn befragten. Außerdem hat Silvano schon Jahre zuvor, als er noch bei Sergio wohnte, im Park Orgien organisiert und die ganze Sippe mitgenommen. Nicht bloß Belinda, die mitmachen mußte, sondern auch Sergio und den Kleinen, Nicolino. Ist das da ein Stück Filet?«
»Nehmen Sie es sich. Ich kann nicht mehr.«
Das Restaurant füllte sich allmählich, doch Sandro lotste die Gäste von ihrer Ecke weg und schaute jedesmal, wenn er vorüberging, in ihre Richtung, ob sie etwas wünschten.
Silvano… Ihn zu fassen zu bekommen war nicht einfach.
»Er war ein guter Schütze. Sieben Schüsse, jeder ein Treffer und alle dicht nebeneinander, danach ein Schuß, den Sergio abfeuerte, damit er sich verurteilen lassen konnte – das war der Schuß aus der anderen Richtung, mit dem Belinda am Arm getroffen wurde. Haben Sie sich mal die Frage gestellt, wie Sergio als Beschuldigtem wohl zumute gewesen ist, ich meine, nachdem er sich so viele Jahre lang für das Treiben seiner Frau hat auslachen lassen müssen?«
»Das war sicher nicht so schlimm für ihn, glaube ich. Er hat nie ernsthaft versucht, aus der Sache rauszukommen. Ihm ging es nur darum, seine Homosexualität zu verbergen. Er wußte, daß niemand ihn zu solch einer Tat fähig hielt, jedenfalls
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