Das Ungeheuer von Florenz
ganz allein. Aus dem Grund hat er ja auch Flavio beschuldigt. Das war für alle glaubhaft. Flavio war vorbestraft, und alle wußten von seinem Verhältnis mit Belinda. Als sie 1983 wieder hinter ihm her waren, kam der arme Teufel gar nicht so leicht aus der Sache raus. Auch nicht, als die beiden Deutschen getötet wurden und er im Gefängnis saß. Damals dachte man, sein Neffe hätte die beiden erschossen, nur um ihn rauszuholen, und deshalb war das auch keine gute Arbeit. Geben Sie auf?«
Der Maresciallo gab den Kampf mit dem Rostbraten nun tatsächlich auf. Er war schon ganz erschöpft vor Anstrengung.
»Ich glaube, ich schaffe nicht mal mehr den Salat.«
»Sollen wir uns einen zur Verdauung genehmigen, was meinen Sie?«
»Ja.«
Sie bestellten, widerstanden aber Sandros Versuchen, ihnen noch einen Nachtisch oder Kuchen aufzudrängen. Nur zwanzig Minuten später, nachdem Dante mit einem Glas bei ihnen gesessen und sich eine von Ferrinis saftigeren Anekdoten angehört hatte, waren sie zum Palazzo Pitti unterwegs. Die Nacht war so kalt, daß der Maresciallo während der Fahrt über die Brücke und die Uferstraße entlang froh war, gemütlich in Ferrinis Auto zu sitzen, das um einiges schneller und bequemer war als sein eigenes. Und mußten sie auch, bedingt durch das System der Einbahnstraßen, um die ganze Stadt herumkurven, um den Fluß wieder zu überqueren und keine zwanzig Minuten von ihrem Ausgangspunkt entfernt anzukommen, wer wollte sich beklagen, war dies doch einer der schönsten Umwege, den das Land zu bieten hatte. Vor allem bei diesem kalten Wetter, wenn der Widerschein der Lichter im Wasser glitzerte und die von Flutlicht angestrahlten Palazzi zu schön aussahen, um wirklich zu sein. Trotzdem, der Braten war ein wenig zuviel gewesen. Als sie in der Nähe des Ponte Vecchio in den Stau reinkamen, der sich nach der letzten Kinovorstellung gebildet hatte, ließ sich der Maresciallo tiefer auf seinen Sitz sinken. Wahrscheinlich würde er nach dem schweren Essen wieder die halbe Nacht wach liegen.
Bis sie ankamen, waren der Maresciallo und Ferrini sich darüber einig geworden, daß es zu dem Mordfall von 1968 nur eine einzige Frage zu stellen galt: wer nämlich Nicolino zu dem abgelegenen Haus begleitet hatte und warum.
Der Maresciallo, der nach seinem Schlüssel angelte, während sie die Treppe hinaufstiegen, meinte, eine Antwort darauf zu haben.
»Salvatore Angius.«
»Wer? Ah, ja, der Bursche, der Silvano das Alibi geliefert hat, der Billardspieler, der?«
»Ja, genau der.«
»Herrgott, Guarnaccia, hier drin ist es ja eiskalt.«
»Es ist Mitternacht. Die Heizung ist abgeschaltet. Es lohnt sich, diesen Salvatore Angius ein bißchen genauer unter die Lupe zu nehmen. Er hat eine falsche Adresse angegeben; sein angeblicher Wohnsitz – bei ihm haben wir es natürlich mit einem Sarden zu tun – war das Haus seines Bruders, in Wahrheit wohnte er aber in der Via Torrente, gleich neben dem Haus Rossinis, wo man Nicolino abgesetzt hat.«
»Und das ist damals niemandem aufgefallen?«
»Romola fand es schließlich heraus. Aber da er noch nichts von Silvanos Homosexualität wußte, war Romola die Natur ihrer Beziehung nicht klar. Wo wollen Sie sitzen?«
»Hier, der Stuhl des Angeklagten ist genau richtig für mich. Das heißt also, Salvatore hätte das Kind nehmen, es läuten schicken und zur eigenen Tür hineinschlüpfen können.«
»Genau so. Diesen Feldweg kannte er sicher auch. Er war ja praktisch ein Landstreicher, als Silvano in aufgabelte, er hatte weder Arbeit noch Geld. Silvano hatte ihm ein paar seltsame Jobs in Fabriken in Signa vermittelt. Der Feldweg war eine Abkürzung von seinem Haus nach Signa. Er hatte kein Fahrzeug. Und noch etwas: Als Sergio aufgefordert wurde, Rossinis Haus zu zeigen, da wies er auf das Haus von Salvatore. Nicolino hat damals gesagt, es habe ihn jemand hingebracht, den er nicht kannte.«
»Dann sollten wir den Mann finden.«
»Ja, aber ich habe keine Ahnung, wo er jetzt steckt.«
»Das kriege ich heraus – er konnte ja auch die Waffe genommen haben, nicht nur das Kind. Auf diese Weise konnte man Silvanos Auto, falls man es sah oder anhielt, nicht mit dem Mord in Verbindung bringen. Keine Waffe, kein Kind. Ich finde ihn, überlassen Sie das ruhig mir. Und«, sagte Ferrini und besah sich den Stapel der von Bacci angefertigten Übersetzungen der FBI-Berichte, »wie sind Sie damit zurechtgekommen?«
»Das ist wenigstens etwas Handfestes. Wir stochern doch nur im
Weitere Kostenlose Bücher