Das Ungeheuer von Florenz
uns das vielleicht wünschen mögen, aber dennoch war dies ein ganz besonders tragischer Fall, weil das Mädchen nicht ganz normal ist. Sie hat geredet, wissen Sie, sie hat überall im Dorf darüber geredet. Es ist eine Schande, daß Menschen sich überhaupt in einer solchen Lage befinden, aber seit die Irrenanstalten geschlossen wurden, bleibt es Menschen wie mir überlassen, sich mit Problemen zu befassen, die über meine eigentlichen Pflichten als Priester weit hinausgehen.«
»Das muß eine schwierige Aufgabe sein.«
»Pater Damiani zum Beispiel. Dem steht es bis hier.«
Hatte sich der Mann an der Theke in dem Lokal noch deutlicher ausgedrückt? Nicht daß der Maresciallo sich erinnern konnte.
»Wenn ich recht verstehe«, begann er vorsichtig, »wurde sie zu einem gewissen Zeitpunkt in einer psychiatrischen Klinik behandelt. Ich bin erst seit kurzem mit diesem Fall befaßt, aber das habe ich gehört.«
»Ja, so ist es. Ich habe getan, was ich konnte, um dafür zu sorgen, daß man sie wegbringt, bevor es noch schlimmer wurde. Sie stand praktisch dauernd vor meiner Tür. Wie Sie gesehen haben, liegt ihre Wohnung ja direkt vor meiner Türschwelle – und, glauben Sie mir, sie hat sich nicht gerade zurückhaltend benommen. Verzeihen Sie, wenn ich keine Einzelheiten schildere. Es genügt zu sagen, daß die Art und Weise, wie sie sich anbot, entsetzlich und sehr lästig war.
Sehr lästig.«
Der belästigte Mann schluckte das letzte Stück seiner dritten Brioche hinunter und schenkte sich Kaffee nach.
»Noch schlimmer aber war, daß sie, wie ich es verstanden habe, ziemlich vielen Leuten erzählt hat, daß ihre ›Liebe‹ zu mir, wie sie es ausdrückte, erwidert wurde. Ich bin überzeugt davon, daß das Kind vom Teufel besessen war. Ich habe dem Bischof schriftlich davon berichtet.«
»Eine kluge Entscheidung. Aber halten Sie es nicht für möglich, daß es nicht der Teufel, sondern ihr Vater war?«
»Ihr Vater«, gab der Priester mit fester Stimme zurück, »ist ein Werkzeug des Teufels.«
Plötzlich schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. »Sie wird doch vor Gericht nicht gegen ihren Vater aussagen?«
»Doch, ich glaube, sie sagt aus.«
»Aber das darf nicht geschehen! Das Kind ist zu einer solchen Aussage nicht in der Lage.«
»Ich fürchte, sie wird trotzdem aussagen. Eigentlich habe ich Sie aber aufgesucht« – niemand, der seinen Verstand beisammenhatte, würde ihm glauben, aber er befand sich auf sicherem Boden, da der Priester nichts mehr wollte als hören, was er nun sagen würde –, »um Ihnen zu versichern, daß die Staatsanwaltschaft ihr keine Fragen stellen wird, die Sie in irgendeiner Weise tangieren könnten.«
»Und die Verteidigung?«
»Es liegt nicht in ihrem Interesse, sich mehr als absolut nötig bei den sexuellen Aktivitäten ihrer Klientin und deren Familie aufzuhalten.«
»Das leuchtet mir ein. Es war sehr umsichtig von Ihnen, mich auf dem laufenden zu halten. Ich muß gestehen, daß ich mir in der Tat große Sorgen gemacht habe, als ich in der Zeitung las, daß sie vor Gericht aussagen soll. Es gibt ziemlich viele Kommunisten in diesem Dorf, Priesterhasser, die nichts unversucht lassen, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen.«
»Das leuchtet mir ein.«
»Es war für uns alle ein schwarzer Tag, als diese Familie ins Dorf kam. Sie sind alle vom gleichen Schlag, Maresciallo, glauben Sie mir. Sentimentalitäten sind da völlig fehl am Platze. Gott wird sie richten, aber sosehr sie sich auch gegenseitig bekriegen und verfluchen, zum Schluß verbünden sich alle wieder miteinander. Die Schuldigen von den Unschuldigen zu scheiden, das wird bei dieser Familie nicht gelingen. Wir sind alle Sünder, und wir sind alle selbst für unser Seelenheil verantwortlich, auch wenn uns die moderne Psychologie das Gegenteil davon weismachen will.«
Der Maresciallo war der gleichen Meinung, doch das sagte er nicht. Die Kümmernisse dieses Mannes waren ihm ziemlich egal, zumal ihm gerade aufgegangen war, wem er ähnelte. Er war natürlich jünger. Sein welliges Haar war noch schwarz. Doch die Statur war die gleiche, gedrungen und kurze Arme und Beine. Und da waren auch die Adlernase und der Stiernacken, obwohl nicht ganz so grob. Das Objekt der kranken Leidenschaft des mißbrauchten Mädchens war – in jung – das Ebenbild ihres Vaters.
13
»Wollen Sie sich Ihre Post ansehen?«
Der Maresciallo war noch nicht richtig zur Tür herein, da überfiel ihn Lorenzini schon.
»Nicht jetzt. Ich
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