Das Ungeheuer von Florenz
Aussehen konnte in der Familie nicht die Rede sein. Meine Frau sah ganz nett aus, bevor sie zunahm, aber nicht ungewöhnlich hübsch, und von mir schon ganz zu schweigen. Aber Sara! Diese großen Augen und die glänzenden schwarzen Locken… Ihre Mutter hat ihr nie die Haare geschnitten, als sie noch klein war. Im Sommer hab ich mir immer Sorgen um sie gemacht, die schweren Haare bei der Hitze, wissen Sie. Was man sich für Sorgen macht. Zum Beispiel war ich dagegen, daß sie ein Moped bekommt. Jahrelang war ich ganz krank vor Unruhe, ich hatte keine Minute lang Frieden. Aber was soll man machen, wenn sie alle eins haben, außerdem brauchte sie es, um in die Schule zu fahren. Ich war ganz krank vor Sorgen… Ich habe als Pförtner im Krankenhaus gearbeitet, da können Sie es sich sicher vorstellen, ich hab die vielen jungen Leute gesehen, die zu uns reingebracht wurden – in Ihrem Beruf ist es bestimmt genauso.«
»Ja«, erwiderte der Maresciallo, und der Magen krampfte sich ihm zusammen bei dem Gedanken, daß das Problem Moped bald auch auf ihn zukam.
»Haben Sie Kinder?«
»Zwei Söhne. Ich muß sagen, bei Mopeds denke ich genauso wie Sie.«
»Ja, genau, verstehen Sie. Man macht sich so viele Sorgen, man will sie beschützen. Man meint, man habe an alles gedacht. Ich war erleichtert, als sie mit Silvio ging und sie sich das kleine Auto gekauft haben. Meine Mutter, Gott gebe ihrer Seele Frieden, hat, wenn sie Sara sah, immer gesagt: ›Woher haben wir die nur bekommen? Woher haben wir nur diesen kleinen Engel?‹ Sie konnte gar nicht aufhören, immer wieder hat sie gesagt, Sara sei ein Engel, der uns nur geliehen ist. Ihre letzten Worte an uns, bevor sie starb, waren: ›Paßt auf das Kind auf, sie wird früh sterben.‹ Meine Frau war fuchsteufelswild. Sie hält gar nichts von diesem abergläubischen Zeug und glaubt nicht daran, aber diese Worte haben ihr Angst eingejagt, und danach war sie noch schlimmer als ich, richtig überbesorgt. An dem Abend waren sie noch keine halbe Stunde über die abgemachte Zeit. Ich möchte nicht, daß Sie denken, ich hätte den gestrengen Vater gespielt, das war ich nie. Ich hatte es nur gern, wenn sie sagten, wann sie zurückkommen, und anriefen, falls es später wurde. Sie machen es doch sicher genauso, oder?«
»Natürlich, dann sorgt man sich nicht unnötig.«
»Noch keine halbe Stunde… Aber sie war uns eine gute Tochter, und ich wußte… Sie oder Silvio haben immer angerufen. Keine halbe Stunde zu spät, und sie waren ja auch nur ein Stück weiter eine Pizza essen, aber meine Frau… Sie hat gesagt: ›Irgend etwas ist passiert. Ich spüre das. Wir gehen sie suchen.‹ Ich hab versucht, sie zu beruhigen. ›Hör auf damit, sie haben gesagt, sie kommen um halb zwölf. Sie werden jeden Augenblick dasein, und wenn sie ihre Pläne geändert haben, rufen sie an.‹ Aber meine Frau sagte wieder: ›Irgend etwas ist ihr zugestoßen.‹ Sie ging ins Bad und mußte sich übergeben. Da hab ich dann doch die Autoschlüssel geholt, ich dachte, das kurze Stück bis zur Pizzeria zu fahren kann nicht schaden.
Es heißt ja, Frauen hätten einen siebten Sinn, was ihre Kinder angeht, nicht wahr? Ich sagte zu ihr: ›Bleib du hier. Sie kommen nach Hause. Bleib hier.‹ Sie ist geblieben, aber sie hat mir nicht geglaubt. Vor der Pizzeria hab ich ein paar Freunde der beiden gesehen, die gerade gehen wollten. Das Lokal machte zu, und der Kellner stellte schon die Stühle auf die Tische. Da wurde auch mir übel, wie meiner Frau. Ich wußte nicht, was ich machen sollte. Ihre Freunde haben gesagt: ›Wir finden sie schon. Keine Sorge, wir wissen, wo wir sie suchen können.‹ Ich wußte, was das heißen sollte, und es war ja nur wenige Monate nach… nach dem, was in Scandicci passiert ist, wissen Sie.«
»Ja.«
»Auf dem ersten Feldweg, den wir reingefahren sind, stand ihr Auto nicht. Die jungen Leute sagten, ich soll mir keine Sorgen machen, wahrscheinlich seien sie schon nach Hause gefahren, aber wir könnten es noch an einer anderen Stelle probieren. Wir sind wieder eingestiegen, und ich weiß nicht, wie ich das erklären soll – ich dachte, die kriegen was zu hören, wenn wir heimkommen, uns solche Sorgen zu machen, und gleichzeitig wußte ich, daß, wenn ich sie nicht an diesem Abend finden würde, vielleicht Fremde sie am nächsten Morgen finden würden. Ich kam sogar auf die Idee, die Schwester meiner Frau anzurufen und zu warten, bis sie bei uns war, bevor ich mit der schlechten
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